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Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil

Titel: Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
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dem Schild gestanden,er habe sich über die falsche Rechtschreibung gewundert.
    Im Nachbarhaus wohnte ein frisch verheiratetes Paar. Von der Frau übernahm mein Vater im Frühling 2009 das Zimmer im Pflegeheim, kurz nachdem die Frau vierundneunzigjährig gestorben war. So sind Biographien auf dem Dorf verknüpft.
    Der Vater und seine schon schulpflichtigen Geschwister waren zu Beginn des Krieges Volksschüler und Gymnasiasten. Dass sie eine weiterführende Schulbildung ermöglicht bekamen, lag einerseits am Respekt der Eltern vor Bildung als Alternative zur kleinen Landwirtschaft, die höchstens einem der Kinder das Auskommen sichern konnte, andererseits an der Freude über die Begabungen des Nachwuchses. Obendrein wusste man es zu schätzen, dass Schulkinder zu Hause mehr mitarbeiten konnten als Lehrlinge. Nichts sprach gegen die Schule, außer bei Robert, dem drittjüngsten Sohn, der das Gymnasium hinschmiss, weil er Angst hatte, man wolle einen Pfarrer aus ihm machen.
     
    Im Februar 1944 erhielt der Vater die Kriegsmatura und wurde eingezogen, ein siebzehnjähriger Gymnasiast bäuerlicher Herkunft, ein in seinem Ernst gestörter Ministrant mit geringer Weltkenntnis und mangelnder Lebenserfahrung – kein Kind mehr und noch kein Erwachsener, kein Militär und doch kein Zivilist , wie Andrej Belyj diese Schülersoldaten nennt.
    Vom Arbeitsdienst wurde er Mitte 1944 zur Wehrmacht überstellt. Dem drei Jahre älteren Bruder Emil und demein Jahr jüngeren Paul erging es ähnlich. Die Zuhausegebliebenen verfolgten die politischen Entwicklungen jetzt notgedrungen mit mehr Interesse, aus Sorge um die eingezogenen Brüder und Söhne, die Buben – wenn man wochenlang nichts von ihnen gehört hatte: Was wird wohl sein?
    Emil hatte Glück. In Afrika geriet er rasch in amerikanische Gefangenschaft und verbrachte den Rest des Krieges in Montana als Verbindungsdolmetscher. Von ihm kam nach einiger Zeit Post, somit wusste man ihn in Sicherheit. Paul wurde 1945 in Italien von den Neuseeländern gefangen genommen. Im Lager bei Bari habe er sich mit Handarbeiten ein Zubrot verdient, mit Nadeln, die er aus Zaundraht gemacht hatte, strickte er aus aufgetrennten Pulloverärmeln Mützen für Mitgefangene, die unter der Sonne litten oder optisch etwas hermachen wollten. Seine eigene Mütze habe er noch lange nach dem Krieg getragen.
    Da Paul erst siebzehn war, kam er bereits im Sommer 1945 nach Hause. Die Heimkehr war nicht angekündigt; unbemerkt von allen ging er zuerst in den Stall zu den drei Kühen, dann in die Brennerei, wo der Vetter Rudolf Schnaps brannte. Der Vetter Rudolf stieg ihm voraus die hintere Treppe zur Küche hoch, dort arbeitete die Mam, die wenige Tage zuvor ihr zehntes Kind, einen Buben, wenige Stunden nach der Geburt verloren hatte. Die Nabelschnur hatte sich um den Hals des Kindes gelegt.
    Der Vetter Rudolf sagte:
    »Du, Theres, hier ist ein Soldat, der um Unterkunft bittet.«
    Sie habe gezögert, denn das Haus war trotz der Abwesenheit dreier Söhne voll. Dann sei Paul aus dem Schatten der Tür getreten, und die Tränen seien ihm die Wangen hinuntergelaufen.
    Auch für meinen Vater hatte es am Anfang gut ausgesehen. Während der Ausbildung erhielt er wegen einer hartnäckigen Infektion am rechten Unterarm zweimal Genesungsurlaub. Kaum war die Wunde verheilt, bot er an, nach Hause zu fahren und dem Verein für die Weihnachtsfeier Schnaps zu holen. Zwei Adventswochen in Wolfurt. Doch im Februar 1945 wurde er an die Ostfront verlegt, als achtzehnjähriger Kraftfahrer ohne Führerschein. In Oberschlesien baute er einen schweren Unfall, weil ihm auf einem vereisten Fahrdamm ein Pferdefuhrwerk nicht auswich, die Hupe kaputt, Bremsen wegen des Eises wirkungslos, er lenkte den Wagen den Damm hinunter, worauf sich der Wagen mehrmals überschlug. Den Drohungen des Vorgesetzten, das werde Folgen haben, er komme vors Kriegsgericht wegen Sabotage, begegnete er mit dem Hinweis, dass er keinen Führerschein besitze und gar nicht hätte fahren dürfen.
    Als klar war, dass sich alles auflöste, setzte er sich ab und versuchte mit einigen anderen Österreichern zu den Amerikanern zu gelangen. Vermutlich aus Heimweh schlug die Gruppe die falsche Richtung ein – statt sich nach Westen zu wenden, gingen sie nach Süden, quer durch Böhmen, auf dem kürzesten Weg nach Hause und zu den Russen. Bereits auf österreichischem Terrain, im Kamptal, war es mit der raschen Heimkehr vorbei.
    Wenn mein Vater später behauptete, die Welt im
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