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Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda
Autoren: Magdalen Nabb
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Menschen hineinzuversetzen – die reinste Sisyphusaufgabe! Wie schaffte Teresa das nur? Wenn er von der Arbeit heimkam, wußte sie manchmal, wie es ihm ging, noch bevor sie sich nach ihm umgedreht hatte. Bestimmt würde sie auch wissen, wie man Toto anpacken mußte. Neuerliche Festnahme im Fall Brunamonti… Das eingefallene Gesicht der Contessa in den Kissen, ihre schmerzerfüllten, trockenen Augen… Sie hatte offenbar geglaubt, alle Probleme ihrer Kinder mit noch mehr Liebe und Fürsorge lösen zu können… eine Philosophie, die sich überhaupt nicht bewährt hatte. Niemand konnte einem verläßlich sagen, was das Beste für ein Kind war. So vieles in der Erziehung war reine Glückssache und Rätselraten. Teresa kam und hängte sich bei ihm ein, und er war froh, daß er nicht allein zu rätseln brauchte.
    »Salva! Guck mal da, die Schlagzeile. Du hast mir gar nicht erzählt, daß ihr noch einen von den Entführern geschnappt habt.«
    Keiner hatte sich Illusionen darüber gemacht, daß ihnen Puddu und sein Komplize, der mutmaßliche Holzfäller der Contessa, ins Netz gehen würden. Die beiden Geiselwärter, die man im Betäubungsschlaf kassiert hatte, das waren der sogenannte Metzger und der Fuchs, die nach Aussage der Contessa zur fraglichen Zeit die Nachtschicht hatten. Das weitverzweigte Tunnelsystem durch Dickicht und Buschwerk, gepaart mit Puddus ausgezeichneter Ortskenntnis und der Unterstützung, die er von seinen Landsleuten in der Gegend einfordern konnte, sicherten ihm und seinem Spießgesellen einen unschätzbaren Vorsprung. Sie waren nur zu zweit. Geräuschlos. Unsichtbar. Ihre Verfolger dagegen waren zahlreich, weithin sichtund hörbar. Trotzdem ging die Fahndung noch tagelang weiter; auch wenn der Capitano seine Hoffnung auf die nächtliche Observation einsamer Höfe setzte, wo die Flüchtigen sich mutmaßlich mit Proviant versorgten, und wenig frequentierter Autobahnrastplätze unten im Tal, wo sie vielleicht von einem Komplizen abgeholt und außer Landes geschmuggelt wurden. Groß waren seine Hoffnungen nicht, denn Puddu und seine Leute verfügten nicht nur bis heute über die jahrhundertealten Winkelzüge vagabundierender Banditen, sondern heutzutage auch über modernste Technologie. Wozu das Risiko eingehen, sich in die Nähe eines Gehöfts zu wagen, wenn man Verpflegung, Kleider, Batterien und Geld auch per Mobiltelefon in eine wohlversteckte Höhle ordern konnte? Wochenlang blieb das einzige Lebenszeichen der beiden ein an die Contessa Brunamonti adressiertes Päckchen, das, eingewickelt in ein Stück braunes Papier von einer Brottüte, einen wertvollen Ring enthielt. Die Contessa meldete den Carabinieri den Erhalt der Sendung, behauptete aber, sie hätte den dazugehörigen Umschlag weggeworfen. Viel verloren war dadurch nicht, denn das Kuvert war mit Sicherheit von einem Mittelsmann aufgegeben worden, und der Poststempel wäre für die Ermittlungen wertlos gewesen.
    Dann, eines Tages, kamen sie den Zielpersonen durch Zufall so nahe, daß die beiden überstürzt flüchten mußten und auf der geschützten kleinen Lichtung, wo sie gegessen hatten, einiges an Spuren zurückließen: eine halbvolle Weinflasche, ein paar Käserinden und – welch ein Fang! – eine Plastiktüte mit einem schmutzigen T-Shirt, willkommene Beute für die Spürhunde. Der Capitano wußte, daß Puddu selbst in der größten Eile nicht so dumm gewesen wäre, das T-Shirt liegenzulassen, und daß er sich von seinem Komplizen trennen würde, sobald er dessen schwerwiegenden Fehler entdeckte. Und wirklich war sein Helfershelfer allein, als die Hunde ihn stellten, wie er eben in einen Wagen stieg, der in südlicher Richtung auf der Autobahn unterwegs war. Es kam zu einer wilden Verfolgungsjagd, in deren Verlauf die Autoreifen des Fluchtfahrzeugs zerschossen und die Zielperson an der Schulter verletzt wurde. Vor laufenden Fernsehkameras entschuldigte sich der Mann aus dem Gefängniskrankenhaus bei der Contessa Brunamonti und ihrer Familie. Im Verhör schwieg er hartnäckig zu allen Fragen über Puddus Verbleib. Von den drei Männern, die die Geisel aus der Stadt entführt hatten, fehlte nach wie vor jede Spur, und dem Fotografen Gianni Taccola konnte man nicht das Geringste nachweisen.
    Ein ganzes Jahr verging, bevor der Maresciallo die Contessa zufällig wiedersah. Es war an einem sonnigen Samstagnachmittag im Frühling, wieder blühten die Linden, und er spazierte Arm in Arm mit Teresa über die Piazza Santo Spirito. Sie waren
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