Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda
Autoren: Magdalen Nabb
Vom Netzwerk:
schmerzhaftes Röcheln zustande.
    Von vorn, aber nicht vom Fahrersitz her, brüllte eine Stimme: »Was machst du da, verdammt noch mal?«
    »Ich hab ihr den Mund zugeklebt. Das Luder wollte hier rumkrakeelen.«
    »Runter damit, du Blödmann, aber dalli! Wenn sie auf das Chloroform hin brechen muß, dann erstickt sie uns doch unter dem Pflaster. Also runter damit!« Ich hörte Tessie winseln, dann ein Jaulen, als ob man sie getreten hätte.
    Die Finger, die unter meiner Nase herumfuchtelten, rochen nach Nikotin. Mit angehaltenem Atem wartete ich, bis er mir das Pflaster vom Mund riß. Beim Ankleben hatten sich ein paar Haare darin verfangen, die nun mit ausgerissen wurden, was so höllisch weh tat, daß ich anfing zu weinen. Die Streitenden bemerkten es nicht einmal. Der Mann auf dem Vordersitz schäumte.
    »Du rührst sie nur an, wenn ich es sage! Ich hafte für die Ware, also hört alles auf mein Kommando, klar?!«
    Mit Speichel und Zähnen versuchte ich, meine Zunge von Dreck und Fusseln zu befreien. Um mich einigermaßen vor dem abgestandenen Schweißgeruch zu schützen, atmete ich nur noch durch den Mund. Der Arm, auf dem ich lag, war eingeschlafen, aber ich wagte nicht, mein Gewicht zu verlagern, teils aus Angst vor dem Schmerz, der mit dem wiedererwachenden Gefühl einsetzen würde, teils aus Furcht vor einem neuerlichen Stiefeltritt.
    Ich war immer noch ganz benommen von dem Chloroform, aber obwohl es vielleicht Linderung bedeutet hätte, wollte ich um keinen Preis wieder einschlafen. Denn angesichts meiner Erstickungsängste, der Finsternis und der Unfähigkeit, mich zu bewegen, wäre Schlaf fast gleichbedeutend mit Tod gewesen. Ich beschloß, mich mäuschenstill zu verhalten, damit der Mann über mir mir nichts tat, und spitzte im übrigen die Ohren, um mögliche Anhaltspunkte für Fahrtzeit und –richtung aufzuschnappen. Vergebens. Seit dem Streit über das Pflaster herrschte Schweigen. Was hatte ich auch erwartet? Daß plötzlich einer sagen würde: Ach, guck mal, die Abzweigung nach da und da?
    Unter mir die Fahrbahn, Kilometer um Kilometer. Über mir die Last ihres Schweigens. Der widerliche Geruch. Sonst nichts. Einmal kam mir der Gedanke: Das ist so absurd, daß es einfach nicht wahr sein kann. Es ist ein Alptraum, einer von der Sorte, in denen man nicht von der Stelle kommt. Nur ein bißchen Geduld, und bald werde ich zu Hause aufwachen, in einer Welt, in der es Typen wie die gar nicht gibt.
    Der Alptraum ging jedoch nicht zu Ende, nur die Autofahrt. Durch die Erschütterungen des Wagenbodens unter mir spürte ich, daß wir die Straße gewechselt hatten: Erst kam eine kurvenreiche Strecke mit etlichen Kreuzungen, dann ein holpriger Feldweg. Der Wagen hielt an. Als sie mich in die eisige Nachtluft hinauszerrten, war ich froh, daß ich für die Abendrunde mit Tessie den dicken Schaffellmantel angezogen hatte und die bequemen Pelzstiefel… Verzeihen Sie.
    Nein, bitte nehmen Sie sich meine Tränen nicht zu Herzen. Eigentlich weine ich ja gar nicht, das sind nur der aufgestaute Schmerz und die Anspannung, die sich so ein Ventil schaffen. Als ob mein Körper an meiner Statt weinen würde, Sie verstehen? Da, sehen Sie, ich kann gleichzeitig lächeln, das beweist doch, daß es nur eine körperliche Reaktion ist. Schließlich habe ich jetzt ja auch allen Grund, glücklich zu sein, nicht wahr?
    Dann nahmen sie sich Tessie vor und traktierten sie mit Fußtritten, bis einer sie packte und in hohem Bogen in die Dunkelheit schleuderte.
    Wir gingen zu Fuß weiter. Ich hätte nicht mal die Hand vor Augen sehen können. Um mich herrschte vollkommene Dunkelheit, jene bedrückende, sinnverwirrende Finsternis, in der man rasch das Gleichgewicht verliert. Hinzu kam der Kampf gegen den stürmischen, eisigen Wind. Die Männer trieben mich schubsend und zerrend vorwärts. Diese erste Etappe war jedoch nicht lang. Sie führten mich erst über einen steinigen Schotterpfad, dann über weiches Erdreich mit vereinzelten wuchtigen Steinplatten, dann über kurzgeschorene Grasbuckel. Sehen konnte ich, wie gesagt, nichts, spürte aber die wechselnde Bodenbeschaffenheit durch die Gummisohlen meiner Stiefel. Nach einiger Zeit ging es bergauf, und ich hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten, weil meine Hände immer noch gefesselt waren und die schwarze Finsternis ringsum keinerlei Orientierungshilfe bot. Einmal stolperte ich und prallte, da ich keinen Arm frei hatte, um mich aufzufangen, gegen meinen Vordermann. Der revanchierte sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher