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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen
Autoren: Diana Evans
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ersungen. Und heute? Was macht eigentlich … Edwin Starr? Nun, er lebte in Nottingham, war der Liebling der britischen Feriencamps und spielte für die Freunde des Northern Soul immer noch landauf, landab. Im Alban Arts Centre gab er ein Reunion-Concert mit Martha, und darum hatte Finn seine erfahrenste Journalistin geschickt, Melissa, um vorher ein Interview zu machen. Lucas durfte sie begleiten.
    Jetzt, mit etwas Abstand betrachtet, sah Lucas wirklich keinen Grund, weshalb sich ausgerechnet Edwin Starr und Antoney Matheus gekannt haben sollten. Sie hatten zwar beide zum Showbiz gehört, aber dennoch zu anderen Welten, und Lucas erinnerte sich nicht einmal, dass er am Mittwoch im Zug nach St. Albans an seinen Vater gedacht hatte. Er wurde nämlich von der wasserstoffblonden, wortintensiven, moderatorenmäßigen Melissa gebrieft. »Also weißt du, was ich tue«, erklärte sie ihm, »bevor ich reingeh? Erst mal trink ich einen richtig starken schwarzen Kaffee, mit viel Zucker, und dann sag ich mir, ›Das ist deine Show, Baby!‹, klar? Es ist wohl besser, wenn du dir deinen eigenen Motivationsspruch suchst«, – da, wieder ein Hinweis auf eine Festanstellung – »aber so läuft’s im Prinzip, klar?« Antoney war ihm, das jedenfalls glaubte Lucas, als Letztes in den Sinn gekommen, als er sich den Kopf über ein geeignetes Motto zerbrach und sich schließlich für einen Satz aus dem Film »Das Leben nach dem Tod in Denver« entschied, den er bei Jake bestimmt schon siebenunddreißig Mal gesehen hatte (auf dem Boot gab es keinen Fernseher). Der Satz, aus dem Mund von Christopher Walken, lautete: »Für Cynthia. Tu es, für Cynthia.« Melissa sagte, er dürfe eine Frage stellen, mehr nicht, und die übrige Zeit solle er einfach zusehen und lernen. Edwins Verhalten ihm gegenüber war reiner Zufall gewesen. Es war Lucas immer noch peinlich, dass er währenddessen so nervös geworden war.
    Das Alban Arts Centre war ein steriler, roter Backsteinbau im Zentrum. Mr. Starr war in seiner Garderobe, in einem himmelblauen Trainingsanzug und Sneakers ohne Socken. Er begrüßte beide mit warmem Händedruck. Dann sah er weit, weit hinauf in Lucas’ Vogelaugen und sagte ebenjene Worte: »Hallo, Mensch, bist du groß«, und lachte.
    Lucas brach der Schweiß im Nacken aus. Er sah regelrecht, wie sein Vater mit Geisterfüßen auf das Deck der Silver trat. Während des ganzen Interviews war er überzeugt, dass Edwin ihn neugierig musterte. Der Sänger sprach über die Sixties, darüber, was für eine tolle Zeit das war, eine Zeit ohne Grenzen, in der alles möglich schien, im Guten und im Schlechten. Melissa fragte, ob er Jimi Hendrix gekannt habe, und er sagte, ja, Jimi war ein feiner Kerl, eine Ausnahmeerscheinung. Lucas hatte sich mittlerweile etwas beruhigt und gebannt gelauscht, dem reizenden, breiten Lächeln des alten Mannes erlegen, der Leichtigkeit und Autorität, mit der er sprach. Lucas stellte sich vor, wie sich sein Vater durch diese Welt bewegte. Hatte auch er das Gefühl gehabt, dass das Leben grenzenlos war? Wäre Antoney, wenn er noch am Leben wäre, wie Edwin? Säße er immer noch in Garderoben und würde Trainingsanzüge tragen? Wäre er ebenso liebenswürdig? Und gerade, als er sich all diese Fragen stellte, unterbrach sich Edwin selbst und sagte: »Junge, du kommst mir so bekannt vor. Sind wir uns schon mal begegnet?« Lucas fiel der Stift aus der Hand.
    Ein tiefer, zitternder Atemzug. Melissa gab ihm ein Zeichen, das hier war sein Moment. Lucas heftete in dem sicheren und doch irgendwie lächerlichen Gefühl, dass es irgendeine Verbindung zwischen ihnen gab, den Blick auf das Gesicht des Älteren, die sanften Augen und die feuchte Haut, und stellte mit großer Beklommenheit seine eine Frage, hinter der so viele andere standen: »Mr. Starr. Sind Sie schon mal, damals – kannten Sie mal einen Typen – Haben Sie …« Melissa blätterte geräuschvoll durch ihr Notizbuch. Edwin lächelte weiterhin reizend. »… Haben Sie jemals von einem Ensemble namens – The Midnight Ballet gehört?«
    Edwins Gesicht erhellte sich augenblicklich. Lucas hätte schreien mögen. Edwin legte die Hände auf seine pummeligen Schenkel und machte Anstalten zu sprechen. Aber dann sah er fort, als ob seine Aufmerksamkeit irgendwo anders hingezogen würde. Unsicherheit wanderte über sein Gesicht. Er kratzte sich am Ohr, klopfte sich auf die Schenkel und sah wieder zu Lucas. »Weißt du, Junge«, sagte er schließlich, »ich glaube
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