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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen
Autoren: Diana Evans
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gesprochen hast, egal, aber bleib dran . Komm nich alle fünf Minuten mit was anderem.« Er streckte die Hand nach dem Joint aus. »So, das soll dein dämlicher Psychodoc mal ausdefinieren.«
    Jake wohnte in einer Parallelstraße zur Portobello Road, wo Denise ihren Blumenstand betrieb. Lucas landete dort oft, wenn er nachmittags in der Gegend war. Wenn er genug vom Boot hatte, schlurfte er den Uferweg hinauf, ging durch das Tor und über die Ladbroke Grove zum einen Ende der langen, schmalen Marktstraße, den Weg ins Zauberland West-Londons, wo Tattookünstler und Barleute, Vinyljunkies, Tramps und Hosteltouristen, schöne Menschen, Künstler und Fashionistas zusammenkamen, Mütter mit Babys, Yuppies, Studenten, Filmcrews und Touristen, Ganzkörpergepiercte, weiße Rastafaris, Nonnen, Drogenhändler, Kunsthändler, noch mehr Touristen und Buddhisten, junge Väter, junge Woolworth-Angestellte, Psychotherapeuten und Kinesiologen, Transen, Julia Roberts, Rentner und die Gutmenschen der Heilsarmee, Pudel, Crackjunkies, Pressesprecher, heimwehkranke Insulaner, gestrandete Aktivisten und Verkäufer von spanischem Olivenöl. Dort schlug der Puls des Grove am schnellsten, sah man die deutlichsten Zeichen der Gentrifizierungswelle, die über die Stadt hereinbrach und aus Ghettos angesagte Viertel machte und diese weit über den Orbit des durchschnittlichen einheimischen Wohnungssuchers hinauskatapultierte. Südlich der Themse war das am deutlichsten in Brixton, nördlich, hier im Grove, auch ein Schauplatz historischer Unruhen, das an der einen Seite – Lucas’ Seite – von der Harrow Road begrenzt wurde, dem Reich der sechs Avenuen, und an der anderen von Holland Park, wo das Leben leuchtender war. Es war eine wechselvolle architektonische Route von hier nach dort, von den alten verblassten Reihenhäusern und den sozialen Wohnungsbauten mit Grundsteuerbefreiung und Flachdach bis hin zu den wohlgestalteten Stadthäusern mit ihren römischen Säulen. Es war eine historische Teilung, nur die Tauben hatten sich nie darum geschert.
    Die Portobello Road wurde in den Nebenstraßen von fünfstöckigen Häusern in Bonbonfarben und mit exklusiven Privatparks flankiert. An ihr entlang breiteten sich die Coffee Shops wie Krätze aus, als ob England gerade erst auf den Geschmack gekommen wäre oder die Rückkehr von Labour für neuen Gesprächsstoff gesorgt hätte. Lucas hoffte, dass Tony Blair etwas unternehmen und die Kapitalisten daran hindern würde, die Gegend mit ihren Accessoirelädchen und auberginefarbigen Teestuben noch weiter aufzuhübschen, mit ihren Gießkannen aus Leder und teuren psychedelischen Toastern, mit all den nutzlosen Dingen, dem hohlen Warenangebot all jener, die Geld mit Geld verdienten. Das Viertel verlor seine Seele, seine Integrität. Ein Typ wie Lucas, mit seinem geschorenen Schädel und seinen ausgelatschten Reeboks, musste das Gefühl bekommen, dass er dort nicht mehr willkommen war. Er war das Roughe, ein ethnisches Einsprengsel, und nur als solches machte er die Gegend interessant.
    Meist hing er in der Nähe der Tavistock Road rum, unweit der Brücke des Westway, wo ihm mit zehn Jahren ein dicker weißer Junge das Skateboard zerschlagen hatte. Der Brausedropkiosk war an der Ecke. Die Drops wurden ganz traditionell in weißen Papiertütchen verkauft, und nachmittags durften Schüler nur zu zweit in den Laden, wobei der Neffe des Besitzers den Türsteher gab. Und wenn nicht dort, dann war Lucas die Straße weiter oben vor Honest Jon’s, wo Jake stundenlang durch das Schallplattenangebot wühlte. Jake hatte Talent, Ehrgeiz und eine Vision. Als Plattenproduzent hatte er schon drei Undergroundhits gelandet (einen hatte ein Dance-Act aus Devon »gestohlen«), und nun standen die Rapper in ihren Baggy Pants Schlange und buhlten um seine Aufmerksamkeit. Einer davon war MC Crow, ebenfalls Stammgucker bei Honest Jon’s, er gehörte zum Portobello-Volk und hatte was mit der Tweedrockverkäuferin gegenüber von Harvey’s Antiques wie auch mit dem Duftkerzen-Mädchen und der China-Klamotten-Frau, die samstags aus Camden kam. Lucas war ohne Frage beeindruckt.
    Auf der Suche nach seinem »Ding«, wie Jake es genannt hatte, hatte sich Lucas seinerzeit auch bei West beworben. Die Redaktionsräume lagen auf der Talbot Road, einer Querstraße der Portobello, einer protestfreudigen Gegend, in die es solche kurzlebigen kreativwirtschaftlichen Unternehmungen meistens zog. Bei West wurde ausschließlich teures, den
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