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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen
Autoren: Roopa Farooki
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schwermachte, es war schwierig, jemanden zu lieben, dem man alles unterordnen musste, auch wenn diesen Jemand keine Schuld traf. So war es nun einmal. Es hatte die drei Geschwister voneinander entfernt und in die Isolation getrieben. Trotzdem war da immer noch Liebe, unvollkommen und verletzlich wie sie selbst. Und vielleicht würde diese Liebe sie retten.
    »Du musst mir jetzt zuhören, Yas«, sagt Asif. »V ersuch bitte, mich zu verstehen. Wir hatten nicht besonders viel Glück mit unserem Leben, wir mussten viel wegstecken, haben erst Dad, dann Mum verloren und mussten mit deinem Asperger-Syndrom und allem zurechtkommen. Aber wir haben immer noch einander, du, ich und Lila. Lila hat heute etwas Kluges gesagt, Yas, etwas Relevantes, etwas größtenteils oder völlig Relevantes, wenn du so willst. Sie sagte, dass wir uns für das Leben entschieden haben, Yas. Das kannst du auch. Du kannst glücklich sein, du kannst Hoffnung haben, und du kannst gut schlafen, davon bin ich überzeugt.« Asif hört leise Schritte im Flur; Lila muss sich wieder gefasst haben und die Treppe hochgekommen sein. Wahrscheinlich steht sie unentschlossen in der Tür, aber Asif wagt es nicht, sich umzudrehen.
    Yasmin sagt lange Zeit gar nichts, dann bemerkt sie mit sachlicher Stimme: »W enn man etwas glaubt, reicht das manchmal schon, damit es Wirklichkeit wird. Wenn man Depressionen hat und glaubt, dass man dagegen behandelt wird, auch wenn es gar nicht stimmt, dann kann sich der Zustand bessern. Das hat eine Studie bewiesen, die 1999 von der Weltgesundheitsorganisation durchgeführt wurde.« Dann steht sie auf und schiebt den Teller mit den Tabletten zu Asif hinüber. Sie empfindet immer noch ein leises Bedauern. »Ich weiß nicht, was ich heute Abend machen soll. Ich lasse nicht gern etwas ausfallen, was ich mir fest vorgenommen habe. Ich habe sonst nichts geplant.«
    »Das macht nichts«, sagt Lila plötzlich. Sie steht in der Tür. Ihr Gesicht ist um die Augen herum immer noch rot und fleckig, ihre Stimme aber überraschend weich und gelassen. Asif sieht zu ihr hinüber, eine dunkle Silhouette vor dem Flurlicht. Sie fängt wieder an zu sprechen, und ihr souveräner Ton erinnert ihn an Mum, die so oft in derselben Tür gestanden hat. »W enn du magst, können wir jetzt etwas planen. Zusammen.«
     

     
    Früh am nächsten Morgen fahren Asif und Lila mit Yasmin in die Klinik, zu einer Reihe von Notfallterminen. Yasmin bekommt neue Medikamente verschrieben, und während Lila sie aus der Apotheke holt, bleibt Asif bei Yasmin und sieht ihr zu, wie sie ihren üblichen Vormittagstee aufbrüht. Wie gewohnt gießt sie auch ihm eine Tasse ein, und wie gewohnt nimmt er sie dankend entgegen. Kamille-Katzenpisse, denkt er bedauernd und staunt, wie sehr er sich freut, dass er mit Yasmin in der Küche sitzt und Tee trinkt. Wie normal das alles wirkt! Aber wie nahe dran waren der Tee und der über die Tasse gebeugte Kopf mit dem Pferdeschwanz gewesen, für immer zu verschwinden. Asif weiß, dass Yasmins Selbstmordversuch fehlgeschlagen ist, dass er und Lila ihn erfolgreich verhindert haben; trotzdem hat er wieder das Gefühl, dass er und Lila gescheitert sind. Jetzt ist klar, dass er Hilfe braucht, Hilfe für Yasmin und für sich selbst, und dass er nicht mehr so tun sollte, als könnte er alles allein bewältigen. Der erste Schritt, um sich helfen zu lassen, ist das Eingeständnis, dass man Hilfe braucht, erkennt er.
    »Asif«, sagt Yasmin plötzlich, »ich habe darüber nachgedacht, was du gestern Abend gesagt hast. Ich habe dir etwas zu sagen. Ich liebe dich auch.« Sie sagt das prosaisch, ohne jedes Gefühl, vergisst aber nicht, ihm dabei in die Augen zu sehen. Mississippi eins, Mississippi zwei.
    »Du brauchst das nicht zu sagen, wenn du nicht sicher bist, dass du es wirklich empfindest«, meint Asif, freut sich aber doch. »W enn es für dich in Wahrheit nichts bedeutet. Es ist nicht nötig, dass du nur meinetwegen die Worte sagst.«
    »Ich will die Worte aber sagen«, entgegnet Yasmin. »Ich will die Worte sagen, ich liebe dich, weil ich gern empfinden möchte, was sie bedeuten. Vielleicht ist Liebe für mich nicht dasselbe wie für dich. Aber ich möchte, dass es so ist. Deshalb habe ich es gesagt.«
    »Danke, Yasmin.« Asif versucht, nicht wieder zu weinen; er schafft es nicht ganz. Yasmin hat recht, manchmal können Worte genauso viel bedeuten wie die Sache, für die sie stehen. Manchmal sind auch Worte real. Manchmal genügen sie.
    Er
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