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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen
Autoren: Roopa Farooki
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anders aus«, sagt Asif. »Größer.«
    »Die Kamera trägt fünf Kilo auf«, sagt Lila. »Das weiß jeder.«
    »Das meine ich nicht.« Asif ringt um Erklärungen: »Sie wirkt bedeutender, stärker, klüger – als hätte sie menschlich mehr Größe. Als wäre das ihr wahres Ich und die Person bei uns zu Hause nur ein schlechtes, blasses Imitat.« Asif wird unsicher, vielleicht faselt er nur Blödsinn, deshalb bricht er ab und nippt an seinem Wein.
    »Sie ist einfach fotogen«, sagt Lila. »Manche Leute sehen auf Fotos besser aus als in Wirklichkeit. Wie Dad.«
    »Hast du deine Liste schon gelesen?«, fragt Asif. »W irklich eine liebe Geste, aber was hat sie zu bedeuten? Ich hab keine Ahnung, was in letzter Zeit in Yasmins Kopf vorgeht. Im Grunde hatte ich nie eine Ahnung, aber jetzt ist sie völlig unberechenbar geworden.«
    »Das feste Tagesprogramm war dazu gedacht, ihr zu helfen, nicht dir«, sagt Lila nachdrücklich. »Ich finde Unberechenbarkeit gut. Du scheinst immer nach Dingen zu suchen, über die du dir Sorgen machen kannst; ich bin glücklich, du bist glücklich und Yas ist glücklich. Sie wollte diesen Dokumentarfilm drehen, vergiss das nicht. Sie wollte den Leuten zeigen, was es heißt, so zu sein wie sie. Sie sagte, sie wolle ein Erbe hinterlassen.«
    »W er will mit neunzehn ein Erbe hinterlassen?«, murmelt Asif und beschwert sich dann: »W ie lange dauern diese Werbepausen eigentlich?«
    »Und du solltest wegen der Dankesliste nicht so misstrauisch sein«, fährt Lila fort. »Du weißt doch, dass Yasmin Listen mag. Nimm’s einfach als nette Geste von ihr.«
    »W ahrscheinlich hast du recht«, sagt Asif. »V ielleicht schlägt sie mehr nach Mum, als wir denken. Mum hat immer viel Wert darauf gelegt, dass wir uns bedanken, weißt du noch?«
    »Ja, das hat sie wahnsinnig genau genommen. Vor allem beim Abschied, wenn wir das Haus von Freunden verlassen«, sagt Lila ohne Hintergedanken.
    Bei ihrer sorglos dahingesagten Bemerkung spürt Asif ein wachsendes Unbehagen im Bauch, als hätte sich das leise, zweifelnde Gefühl, das er seit seiner Ankunft empfunden hat, zu einem massiven Steinbrocken verfestigt. »W as hast du gerade gesagt?«, hakt er unsicher nach.
    Lila antwortet etwas ungeduldig: »Mum hat uns eingeschärft, wir sollen, wenn wir das Haus von Freunden verlassen, immer sagen: ›Danke, dass ich bei euch sein durfte‹. Erinnerst du dich nicht?« Ihre Augen weiten sich, als sie begreift. Im Moment, als der Vorspann des Dokumentarfilms endlich über den Bildschirm flimmert, verstehen Lila und Asif schlagartig und sehen sich an. Asif springt auf und verschüttet seinen Wein über Lilas prächtige Technicolor-Leinwand.
    »Oh Gott«, ruft er panisch, »sie geht. Ich glaube, sie verlässt das Haus.« Fahrig tastet er nach seinem Handy und schielt bestürzt zu dem roten Rinnsal auf Lilas Werk.
    Lila ist ebenfalls aufgesprungen. »Das Bild ist jetzt nicht wichtig«, sagt sie. »W ir müssen los.«
    Asif nickt, erleichtert über ihre Entschlossenheit. »Können wir mit deinem Auto fahren? Dann sind wir schneller«, sprudelt es aus ihm heraus, und schon rennt er zur Tür hinaus.
    Lila schnappt die Schlüssel und schlägt die Tür hinter sich zu. Sie ruft Asif durchs Treppenhaus nach: »Glaubst du, dass sie wegläuft? Wo würde sie denn hingehen?«
    »W ahrscheinlich geht sie nirgendwohin«, ruft Asif zurück. »Das ist es ja gerade, was mir solche Angst macht. Erinnerst du dich, was sie über die Schlaftabletten gesagt hat?!«
    »Scheiße«, schreit Lila, rast die Treppe hinunter, auf die Straße hinaus. Hastig schließt sie ihr Auto auf. Sie steigt ein, Asif sitzt schon neben ihr, das Handy am Ohr.
    »Sie hebt nicht ab, nicht mal der Anrufbeantworter schaltet sich ein«, sagt er. »Mist, Mist, Mist. Ich kann nur hoffen, wir drehen hier völlig umsonst durch. Ich versuch’s bei den Nachbarn.« Nach einer Weile legt er fluchend auf.
    »Niemand da? Probier’s bei dem Laden an der Ecke«, drängt Lila. »Lass dir die Nummer von der Auskunft geben.«
     

     
    Eine Viertelstunde später, nach einer haarsträubenden Fahrt, bei der Lila in mindestens drei Wohnstraßen jedes Tempolimit überschritten und eine rote Ampel überfahren hat, bremst sie mit quietschenden Reifen vor dem Haus. In der vollgeparkten Straße gibt es keine Lücke, nicht einmal eine günstige Stelle, wo Lila in zweiter Reihe halten könnte, deshalb springt Asif nur raus und rennt zum Haus, während Lila um die Ecke biegt und das Auto
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