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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen
Autoren: Roopa Farooki
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irrelevant. Das wird bei ihr langsam zum Schlagwort für alles und jedes.«
    »Du kannst dein ganzes Leben lang nach Dingen suchen, die nicht völlig irrelevant sind, ohne welche zu finden«, sagt Lila, schenkt zwei großzügige Gläser Rotwein ein und reicht Asif eines. Asif tritt ein paar Schritte weiter ins Wohnzimmer und bleibt verblüfft vor einer riesigen Leinwand stehen, die vorn am Sofa lehnt, ein einziger wirbelnder Farbenrausch.
    »Gott, das ist ja der Wahnsinn – ist das wirklich von dir? Sieht aus wie eine Mischung aus Jackson Pollock und Bridget Riley.«
    »Seit wann kennst du Pollock und Riley?«, fragt Lila eher belustigt als beleidigt. »Mir wäre es lieber, wenn du das Bild absolut originell finden würdest. Und warum sollte es nicht von mir sein?«
    »Mei Lin und ich waren letzte Woche in der Tate Modern«, gibt Asif zu. »Dieses Bild sieht einfach nicht so aus wie deine sonstigen Sachen, es ist so, so …«
    »Hübsch?«, schlägt Lila mit einer Spur Sarkasmus vor.
    Asif nickt. »Sogar schön. Einfach schön«, sagt er vollkommen aufrichtig und wünscht, er wäre wortgewandter und könnte es besser ausdrücken; die fließenden Farben in dem Bild wirken wie aus einem Traum.
    Lila lächelt. Sie freut sich über das Kompliment, auch wenn sie nicht sicher ist, dass sie es ganz verdient. »Schön, dass es dir gefällt; ich habe viele Tage daran gearbeitet. Aber du hast recht; eigentlich stammt es gar nicht von mir und ist damit auch nicht wirklich originell. Es ist mehr eine Interpretationsübung und stellt ein paar Sekunden aus Mozarts Klavierkonzert Nr. 18 in B-Dur dar.«
    »Das Konzert, das Yasmin für den Film gespielt hat?«, fragt Asif. »So beschreibt sie also die Farben der Musik?«
    »Ich habe Henry um eine Abschrift des Interviews gebeten«, sagt Lila. »Ich dachte, es wäre Zeit, mich mal außerhalb von mir selbst umzusehen, und habe zur Abwechslung versucht, Erfahrungen eines anderen Menschen zu malen. Mich in jemand anderen einzufühlen – Empathie nennt man das wohl. Das Schwierigste waren die Strukturveränderungen, die Yasmin beschrieben hat; das lässt sich im Film natürlich nicht umsetzen. Wenn du mit der Hand drüberfährst, kannst du den Unterschied spüren; ich habe alles Mögliche benutzt, vom Sandpapier bis zu Pailletten.«
    »W irklich erstaunlich«, wiederholt Asif und streicht behutsam mit den Fingerspitzen über die Bildfläche. »Seltsame Vorstellung, dass Yasmin bei Musik so etwas spürt und sieht. Kein Wunder, dass sie immer so zerstreut ist; die Farben sind so kräftig, dass alles andere daneben grau erscheint.«
    »V ielleicht, weil alles andere hier tatsächlich grau ist «, sagt Lila lakonisch und setzt sich auf das freie Stück Schmuddelteppich vor dem Sofa.
    Asif lässt sich neben ihr nieder. »Räumst du auf?«, erkundigt er sich und nickt zu dem ordentlichen Stapel Kartons hinüber. »Oder ist auch das eine Art Kunstinstallation?«
    »W eder noch, ich packe«, sagt Lila leichthin. »Ich ziehe zu Henry. Es ist völlig unnötig, dass wir beide Miete zahlen; wir wollen sparen, bis wir genug zusammen haben, dass wir uns was Eigenes kaufen können.«
    »Dann verlässt du Finchley also«, bemerkt Asif tonlos; er wundert sich selbst, dass er so überrascht ist. Er weiß, dass die Welt mehr umfasst als nur Finchley, er hat selbst einmal woanders gewohnt, in den paar Monaten, als er an der Uni war. Es kommt ihm nur merkwürdig vor, dass der Aufbruch so einfach ist: Man braucht bloß ein paar Kisten zu packen und mit einem Lieferwagen woandershin zu fahren.
    »So weit ziehe ich nun auch wieder nicht weg«, sagt Lila, immer noch um einen beiläufigen Ton bemüht. Sie fragt sich, ob sie lügt. Die andere Seite Londons scheint plötzlich lächerlich weit, einen Ozean weit entfernt, nicht nur eine Flussüberquerung. Ob Asif das auch so empfindet? »Ich besuche euch. Und ihr könnt mich auch besuchen. Henrys Wohnung wird euch gefallen, ich meine, unsere Wohnung. Sie ist viel aufgeräumter als meine, jedenfalls im Moment noch.« Sie schaltet den Fernseher ein, und sie sehen gerade noch das Ende des Trailers für Yasmins Dokumentarfilm, der schon die ganze letzte Woche lief. »Eine außergewöhnliche Reise in eine außergewöhnliche Welt des Verstands«, stimmt der Sprecher bei einer Großaufnahme von Yasmin die Zuschauer ein. Ihre klaren, haselnussbraunen Augen wirken empfindsam, aber auch verwirrt. Dann beginnt die Werbung, und Lila stellt den Ton ab.
    »Sie sieht im Fernsehen
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