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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern
Autoren: Kirsten Winkelmann
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    Im nächsten Moment stand er auf dem Dach.
    Livia … sie war noch da. Aber sie stand bedrohlich nah am Rand des Daches! Und sie starrte nach unten.
    Das Dach … es war eindeutig nicht für den Aufenthalt von Menschen gedacht. Jedenfalls gab es kein Geländer ringsum. Und hier oben wehte ein ziemlich böiger Wind! Auch sonst deutete nichts darauf hin, dass das Dach zum Beispiel als Terrasse genutzt wurde. Der Bodenbelag jedenfalls war einfach nur grau und funktionell.
    Arvin tat ein paar unsichere Schritte auf Livia zu. Er hatte Angst, sie zu erschrecken. „Hallo“, sagte er, einfach weil ihm nichts Besseres einfiel.
    Sofort wirbelte Livia zu ihm herum. Ihren Augen waren wirr. Als ob sie nicht wüsste, was hier los war.
    „Ich bin es, Arvin“, probierte Arvin. „Frierst du gar nicht?“ Sein Blick streifte ihren langärmeligen Schlafanzug und blieb an ihren nackten Füßen hängen. Livia hatte seit ihrem Unfall immer nackte Füße. Er wusste nicht, warum, aber sie trug ungern Schuhe. „Ich möchte dich wieder in dein Zimmer bringen. Komm einfach her.“
    Livias Blick wanderte von Arvin zurück zu dem, was sich auf dem Krankenhausgelände abspielte. Und das war nicht verwunderlich. Die Menschentraube vor dem Gebäude hatte erstaunliche Ausmaße erreicht. Es kam Arvin so vor, als wäre alles nach draußen gerannt, was das Bett noch verlassen konnte. Aber das war es nicht, was ihn am meisten beunruhigte. Oder besser gesagt … was Livia beunruhigte. Die Polizei war da unten. Und Arvin hatte das Gefühl, als würde Livia verängstigt auf das Blaulicht starren, das am Polizeiwagen immer noch angeschaltet war. Immerhin hatten sie auf das Martinshorn verzichtet.
    „Alles ist in Ordnung“, sagte Arvin, wodurch es ihm gelang, Livias Aufmerksamkeit von der Polizei weg- und zu ihm hinzulenken. „Komm einfach her“, ergänzte er so ruhig und warm, wie es das wenige schauspielerische Talent, das er besaß, hergab. Aber obwohl es einem guten Zweck diente, kam er sich schrecklich verlogen vor. Alles an dieser Frau stieß ihn ab. Die Verbände, ja, sogar ihre unschuldigen und verwirrten Augen. „Komm her.“
    Und tatsächlich. Sie machte einen zaghaften Schritt auf ihn zu.
    Aber dann geschah es. „Hier spricht die Poli–“
    Die zweite Hälfte des Wortes „Polizei“ blieb dem Beamten, der das Megafon eingesetzt hatte, förmlich im Halse stecken. Oder wurde es durch den Aufschrei der Menge erstickt? Jedenfalls ging alles sehr schnell. Livia war herumgewirbelt, hatte dabei irgendeine ungeschickte Bewegung gemacht, verlor nun das Gleichgewicht und ruderte unkontrolliert mit den Armen in der Luft herum.
    Arvin sah das Unglück kommen und hechtete vorwärts.
    Livia schrie auf, fiel und hatte bereits die Kontrolle verloren, als Arvin bäuchlings auf sie zuschlitterte. Dabei hatte er allerdings versäumt, seine Geschwindigkeit zu kalkulieren. In Sekundenbruchteilen wurde ihm klar, dass er viel zu schnell und im Begriff war, selbst über den Rand hinwegzuschießen. Im nächsten Moment bekam er Livias Handgelenk zu fassen, packte zu und setzte gleichzeitig seinen gesamten Körper ein, um abzubremsen. Zunächst schien das auch zu gelingen, aber dann fiel Livias gesamtes Körpergewicht in seinen Arm und er wurde ruckartig vorwärtsgezogen. Mit einem verzweifelten Aufschrei verlagerte er sein Gewicht nach hinten, was immerhin dazu führte, dass er oben blieb, mit Kopf und Oberkörper jetzt aber gefährlich weit über das Dach hinausragte. Schon spürte er, wie er das Gleichgewicht zu verlieren begann. Und in dieser Situation fing Livia auch noch an zu zappeln.
    „Hör auf!“, brüllte er verzweifelt, ließ aber nicht los. Die Fingernägel seiner linken Hand kratzten über den Beton, während er versuchte, irgendetwas zu fassen zu kriegen, das Halt versprach. Aber da war nichts – nur eine vollkommen glatte Fläche.
    „Livia!“, schrie er erneut. Aber das hätte er nicht tun sollen. Die Nennung ihres Namens veranlasste Livia, wie eine Irre den Kopf zu schütteln und sich erneut zu winden. Es sah sogar so aus, als versuchte sie, sich aus Arvins Griff zu befreien.
    Während er spürte, wie er die Kontrolle verlor, explodierten Hunderte von Gedanken in Arvins Kopf. Niemand wird dir einen Vorwurf machen, wenn du sie jetzt loslässt , war nur einer davon.
    „Schluss jetzt!“ Es war ein letzter verzweifelter Versuch … aber er führte dazu, dass Livia den Kopf hob und einmal mehr aus
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