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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug
Autoren: Philippa Pearce
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jetzt im hellen Licht der Wohnzimmerlampe saßen und lasen, sich unterhielten und taten, was immer sie mochten. Und hier lag er, hellwach in der Dunkelheit, ohne etwas unternehmen zu können. Ihm kam es vor, als habe er schon viele solcher Nächte durchgestanden, doch plötzlich, heute Nacht, hielt er es einfach nicht mehr aus. Er setzte sich auf, warf mit gebieterischer Geste die Decke beiseite und stieg aus dem Bett, auch wenn er noch nicht wusste, wohin er wollte. Er tastete sich hinüber zur Schlafzimmertür, öffnete sie leise und schlüpfte hinaus in den engen Flur.
    Durch die Wohnzimmertür drangen die bedächtig abgewogenen Worte Onkel Alans an Toms Ohren: Vermutlich las er laut aus seiner bevorzugten klugen Wochenzeitung vor; Tante Gwen lauschte gewiss hingebungsvoll oder war eingeschlafen.
    Tom überlegte kurz, dann huschte er in die Küche und von dort aus in die Speisekammer. Zu Hause wäre das nichts Besonderes gewesen; Peter und er hatten es oft getan.
    In Tante Gwens Speisekammer lagen zwei kalte Schweinekoteletts, eine halbe Biskuitrolle, ein paar Bananen und ein paar Brötchen und Kekse. Tom versuchte sich einzureden, er würde nur deshalb zögern, weil er sich nicht entscheiden konnte, was er nehmen sollte, doch er wusste, dass er nicht hungrig war. Weil er nun einmal hier war, griff er nach einem ganz gewöhnlichen, trockenen Brötchen. Dann überkam ihn mächtiger Überdruss gegen alles Essen und er legte das Brötchen zurück, damit es einen weiteren Tag am Leben blieb.
    Die ganze Zeit über hatte er sich mucksmäuschenstill bewegt – alles andere hätte seine Geschicklichkeit bei einem solchen Unternehmen in schlechtes Licht getaucht. Doch er hatte Pech. Als er aus Speisekammer und Küche herausschlich, stand er plötzlich seinem Onkel gegenüber, der gerade aus dem Wohnzimmer kam. Laut rufend tat der seine Überraschung und Missbilligung kund, und das brachte die Tante auf den Plan.
    Tom wusste natürlich, dass er das nicht hätte tun sollen, doch einen derartigen Aufstand hätten sie nicht zu veranstalten brauchen. Vor allem Tante Gwen war ganz aufgeregt, denn wenn Tom nachts in die Speisekammer geschlichen war, dann musste er Hunger haben. Er wurde also nicht richtig satt bei ihr. Er litt unter nächtlichen Hungeranfällen.
    Onkel Alan dagegen hatte Tom bei den Mahlzeiten ein wenig beobachtet und er konnte sich nicht vorstellen, dass er hungrig war. Außerdem hatte Tom versichert, dass er nichts aus der Speisekammer genommen hatte. Warum war er denn dort gewesen? Verbarg er etwas vor ihnen? Was war denn los mit ihm?
    Tom konnte sie nie wirklich von der einfachen Wahrheit überzeugen: Ein Junge ging einfach wie von selbst in die Speisekammer, auch wenn er nicht hungrig war. Und außerdem, meinten Onkel und Tante, sei er viel zu spät noch auf. Sie schickten ihn zurück ins Bett und der Onkel baute sich vor ihm auf, um ihm einen Vortrag zu halten.
    »Tom, das darf nicht wieder Vorkommen. Du darfst das Licht nicht mehr anmachen, wenn es gelöscht ist; und du darfst auch nicht aufstehen. Du musst einsehen, dass das vernünftig –«
    »Nicht einmal, um morgens aufzustehen?«, unterbrach ihn Tom.
    »Natürlich, das ist was anderes. Sei nicht albern, Tom. Aber sonst darfst du nicht aufstehen. Der Grund ist –«
    »Darf ich nicht aufstehen, selbst wenn ich ganz dringend muss?«
    »Natürlich darfst du ins Bad gehen, wenn du musst; doch danach gehst du gleich wieder ins Bett. Du gehst um neun Uhr abends schlafen und stehst um sieben Uhr morgens auf. Das sind zehn Stunden. Du brauchst diese zehn Stunden Schlaf, weil –«
    »Aber Onkel Alan, ich schlafe nicht!«
    »Wirst du wohl still sein, Tom!«, rief der Onkel, plötzlich aufbrausend. »Ich versuche, vernünftig mit dir zu reden! Also, wo war ich gerade?«
    »Zehn Stunden Schlaf«, sagte Tom kleinlaut.
    »Ja, ein Kind in deinem Alter braucht zehn Stunden Schlaf. Das musst du einsehen, Tom. Aus diesem Grund musst du, wie gesagt, zehn Stunden lang im Bett sein. Ich sage dir klipp und klar, Tom, Gwen und ich wünschen nur zu deinem Besten, dass du zehn Stunden im Bett bist und wenn möglich gleich nach neun Uhr einschläfst. Ist das deutlich genug, Tom?«
    »Ja.«
    »Nun möchte ich das Versprechen von dir, dass du unsere Wünsche erfüllst. Versprichst du das, Tom?«
    Warum konnte ein Junge sich nie weigern, solch gewaltige Versprechungen abzugeben?
    »Ich denke schon«, sagte Tom. »Ja.«
    »Na endlich!«, sagte Tante Gwen. Und Onkel Alan sagte:
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