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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug
Autoren: Philippa Pearce
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heraus. »Das ist ein Kinderzimmer! Ich bin doch kein Baby!«
    »Natürlich nicht – natürlich nicht!«, rief Tante Gwen, gleichermaßen aufgebracht. »Das ist nicht deinetwegen, Tom. Als wir hier einzogen, war das Gitter schon an dem Fenster. Am Badezimmerfenster übrigens auch.«
    Toms finsterer Verdacht aber war nicht völlig ausgeräumt.
    Als sie ihn allein gelassen hatten, damit er vor dem Tee seine Sachen auspacken konnte, sah er sich das Zimmer näher an. Die andere Tür führte in einen Wandschrank; die Bücher waren Schulgeschichten für Mädchen und stammten aus Tante Gwens Kindheit; und zu alldem kam – mochte es Tante Gwen auch wegerklären, wie sie wollte – das Kindergitter am Fenster.
    Der Tee immerhin heiterte Tom ein wenig auf. Tante Gwen hatte Devonshire-Tee gemacht, mit gekochten Eiern, selbst gebackenen Plätzchen, Erdbeermarmelade und Sahne. Sie sei eine gute Köchin, meinte sie, und Kochen mache ihr Spaß; sie habe die Absicht, Tom während seines Aufenthalts mit Essen zu verwöhnen.
    Nach dem Tee schrieb Tom nach Hause, dass er gut angekommen sei. Er steckte auch eine Postkarte für Peter in den Umschlag, mit einer recht fairen Beschreibung seiner Lage. »Ich hoffe, es geht dir schon besser mit den Masern«, schrieb er. »Das ist der Turm der Kathedrale von Ely. (Das würde Peter interessieren, wusste Tom. Die beiden mochten nichts lieber, als Kirchtürme zu besteigen und auf Bäume zu klettern.) Wir sind durch Ely gefahren, doch O. A. hat mich nicht auf den Turm gelassen. Das Haus hier ist in lauter Wohnungen unterteilt und hat keinen Garten. Mein Schlafzimmerfenster ist vergittert, aber T. G. sagt, das sei ein Missverständnis. Das Essen ist gut.«
    Nachdem Tom die Postkarte noch einmal durchgelesen hatte, beschloss er – aus Fairness gegenüber Tante Gwen – den letzten Satz zu unterstreichen. Darunter malte er sein persönliches Zeichen: einen lang gezogenen Kater, auf Englisch Tom. Tom Long sollte das heißen.
    Er malte gerade die Schnurrhaare des Katers, als er unten die Standuhr schlagen hörte. Ja, man konnte sie schlagen hören, ganz deutlich; man konnte die Schläge zählen. Tom zählte sie und lächelte herablassend: Wieder schlug die Uhr ganz falsch – haarsträubend falsch.

Die Uhr schlägt dreizehn
    D as Läuten der Standuhr war Tom bald vertraut, besonders in der Stille der Nächte, wenn alle anderen schliefen. Tom schlief nicht. Er ging zu Bett, wenn es an der Zeit war, und lag dann Stunde um Stunde wach oder im Halbschlaf. Nie zuvor hatte er an Schlaflosigkeit gelitten, und dass er es jetzt tat, wunderte ihn sehr. Doch er hätte durchaus den Grund dafür erkennen können, denn sein Bauch spannte ein wenig und ihm war leicht übel. Manchmal döste er dahin, und dann, in den Traumbildern des Dämmerschlafs, wurde er zu zwei Toms, und der eine wollte nicht einschlafen und beharrte selbstsüchtig darauf, den anderen wach zu halten mit einem kleinen gemurmelten Vortrag über Schlagsahne und Schrimpssauce und Rumbutter und hausgemachte Majonäse und all die üppige Vielfalt dessen, was er hier zu essen bekam. Aus diesen Träumen wieder aufzuwachen war für Tom durchaus erleichternd.
    Tante Gwens Essen steckte hinter Toms Schlaflosigkeit – und auch, dass er sich zu wenig bewegte. Tom musste in der Wohnung bleiben und Kreuzworträtsel lösen und Puzzle legen und durfte nicht mal an die Tür, wenn der Milchmann kam, denn er könnte den armen Mann ja anstecken. Nur in der Küche konnte er sich ein wenig bewegen, wenn er seiner Tante half, die üppigen, reichhaltigen Mahlzeiten zu kochen – Tom hatte noch nie so fürstlich gegessen.
    Er hatte wenig Ahnung von den Ursachen und Heilmitteln für Schlaflosigkeit und es kam ihm nie in den Sinn, sich zu beklagen. Anfangs versuchte er sich mit Tante Gwens Schulmädchengeschichten in den Schlaf zu lesen. Und obwohl sie ihn nicht einmal dafür genug langweilten, las er weiter. Dann hatte ihn Onkel Alan eines Abends noch um halb zwölf beim Lesen erwischt. Es hatte einen Aufschrei gegeben. Anschließend hatten sie Tom auf eine Ration von zehn Minuten Lesen im Bett gesetzt, und er musste versprechen, das Licht im Zimmer nicht wieder anzumachen, nachdem es gelöscht worden war und seine Tante ihm gute Nacht gewünscht hatte. Er trauerte dem Lesen nicht nach, doch in der Dunkelheit schienen die Stunden noch zäher dahinzufließen.
    Eines Nachts hatte er wie üblich wach gelegen, voll bitterer Gedanken, weil er wusste, dass Onkel und Tante
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