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Allwissend

Allwissend

Titel: Allwissend
Autoren: Jeffery Deaver
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preis.
    »Wein?«
    »Gern.«
    Sie holte ein zweites Glas aus der Küche und schenkte ihm seinen bevorzugten Roten ein.
    »Ich kann nicht lange bleiben.«
    »Okay.« Dance platzte fast vor Neugier. »Und?«
    Das Lächeln kehrte wieder. »Wir haben gewonnen. Ich weiß es seit zwanzig Minuten. Der Richter hat der Verteidigung den Antrag um die Ohren gehauen.«
    »Echt?«, fragte Dance, ganz wie ein Teenager.
    »Ja.«
    Sie stand auf und fiel ihm um den Hals. Er umarmte sie und drückte sie fest an sich.
    Dann lösten sie sich voneinander und stießen mit den Gläsern an.
    »Ernie trägt den Fall in zwei Wochen der Grand Jury vor. Er geht fest davon aus, dass die Anklage zugelassen wird. Wir sollen am nächsten Dienstag um neun Uhr morgens zu ihm kommen, um unsere Aussage zu besprechen. Hast du Lust auf einen Ausflug?«
    »Oh, darauf kannst du wetten.«
    O'Neil ging zur Brüstung. Er schaute hinaus in den Garten zu einem Windspiel, das Dance längst wieder hatte aufheben wollen, nachdem sie es vor geraumer Zeit in einer stürmischen - und schlaflosen - Nacht dort hingeworfen hatte. Er verstummte.
    Irgendwas würde gleich kommen, das konnte Dance sehen.
    Sie wurde unruhig. Worum ging es? War er krank?
    Würde er wegziehen?
    »Ich habe mich gefragt...«, setzte er an.
    Sie wartete. Ihr Atem ging schnell. Der Wein in ihrem Glas schwappte wie der aufgewühlte Pazifik.
    »Das Treffen ist am Dienstag, und ich habe mich gefragt, ob du vielleicht ein paar Tage länger in L. A. bleiben möchtest. Wir könnten uns die Sehenswürdigkeiten anschauen. Und endlich mal Eier Benedict essen. Oder wir könnten das Sushi in West Hollywood ausprobieren und Leute dabei beobachten, wie sie versuchen, cool zu sein. Ich könnte mir sogar ein schwarzes Hemd kaufen.« Er redete einfach drauflos.
    Was Michael O'Neil sonst nie tat. Niemals.
    Dance musterte ihn ungläubig. Ihr Herz schlug so schnell wie die Flügel des Kolibris, der ganz in der Nähe über dem leuchtend roten Futterhäuschen schwebte. »Ich...«
    Er lachte, und seine Schultern sackten herab. Sie wagte sich nicht vorzustellen, wie ihr eigenes Gesicht in diesem Moment aussah.
    »Okay. Da ist noch etwas, das ich dir wohl erzählen sollte.«
    »Ja?«
    »Anne verlässt mich.« »Was?« Sie keuchte auf.
    Michael O'Neils Miene war eine Mischung aus Hoffnung, Unsicherheit, Schmerz. Das vielleicht offensichtlichste Gefühl war Bestürzung.
    »Sie zieht nach San Francisco.«
    Dance fielen hundert Fragen gleichzeitig ein. Sie fing mit der ersten an. »Und die Kinder?« »Die bleiben bei mir.«
    Das war wenig überraschend. Es gab keinen besseren Vater als Michael O'Neil. Und Dance hatte schon immer Zweifel an Annes mütterlichen Fähigkeiten gehabt. Und an ihrer Bereitschaft, sich der Aufgabe zu stellen.
    Natürlich, begriff sie. Die Trennung war die Ursache für O'Neils sorgenvolles Aussehen im Krankenhaus gewesen. Sie erinnerte sich daran, wie leer sein Blick gewirkt hatte.
    Er sprach weiter, abgehackt und schnell, wie jemand, der in letzter Zeit eine Vielzahl von - teils wenig realistischen - Plänen geschmiedet hatte. Männer machten so etwas häufiger als Frauen. Er erzählte Dance von zukünftigen Besuchen der Kinder bei ihrer Mutter, von den voraussichtlichen Reaktionen ihrer beider Familien, von Anwälten, von dem, was Anne in San Francisco tun würde. Dance nickte, hörte ihm aufmerksam und ermutigend zu und ließ ihn einfach reden.
    Ihr entging nicht, dass Michael von »diesem Galeriebesitzer« erzählte, einem »Freund von Anne in San Francisco« oder einfach von »ihm«. Die Folgerung, die sich daraus ergab, überraschte sie nicht wirklich, obwohl sie unglaublich wütend auf die Frau war, weil sie O'Neil wehtat.
    Er war zutiefst verletzt, am Boden zerstört, es war ihm nur noch nicht klar.
    Und ich?, dachte Dance. Wie fühle ich mich dabei?
    Dann schob sie den Gedanken sofort wieder beiseite. Sie wollte sich jetzt nicht damit beschäftigen.
    O'Neil stand da wie ein Achtklässler, der gerade ein Mädchen zum Tanzen aufgefordert hatte. Dance rechnete halb damit, dass er gleich die Hände in den Taschen vergraben und hinunter auf seine Schuhspitzen starren würde. »Noch mal wegen nächster Woche. Was hältst du von ein paar zusätzlichen Tagen?«
    Was machen wir jetzt?, dachte Dance. Falls sie sich in diesem Moment von außen betrachten könnte, was würde ihre Körpersprache verraten? Einerseits ging ihr die Neuigkeit sehr nahe. Andererseits war sie vorsichtig wie ein Soldat im
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