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Allwissend

Allwissend

Titel: Allwissend
Autoren: Jeffery Deaver
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nach Hause. Daher kannte er den Highway ziemlich gut.
    Da... das war es. Vierhundert Meter voraus lag etwas Buntes am Fuß eines der Sandhügel, die den Blick auf die Monterey Bay versperrten.
    Was konnte das sein?
    Er schaltete vorschriftsgemäß die Signalleuchten ein und fuhr auf den rechten Seitenstreifen. Dann hielt er so an, dass die Haube des Ford ein Stück nach links in Richtung der Fahrspuren wies, damit ein eventuell auffahrender Wagen den Crown Victoria von ihm weg und nicht genau auf ihn zu stoßen würde. Der Beamte stieg aus. Dort im Sand gleich jenseits der Standspur steckte ein Kreuz zum Gedenken an einen tödlichen Unfall. Es war ungefähr fünfundvierzig Zentimeter hoch und handgemacht - aus dunklen, abgebrochenen Zweigen, die mit einem Draht zusammengebunden waren, wie Floristen ihn benutzen. Davor lag ein Strauß aus dunkelroten Rosen ausgebreitet, und an ihm hing ein Pappschild, auf dem in blauer Tinte das Datum des Unfalls geschrieben stand. Weder auf der Vorder- noch auf der Rückseite war irgendein Name vermerkt.
    Die Behörden sahen solche Gedenkstätten nicht gern, denn es wurden gelegentlich Leute verletzt oder gar getötet, während sie damit beschäftigt waren, an der Straße ein Kreuz zu errichten oder Blumen und Stofftiere niederzulegen.
    Orte wie dieser wirkten normalerweise geschmackvoll und ergreifend. Der hier war unheimlich.
    Merkwürdig war auch, dass der Beamte sich an keine entsprechenden Unfälle in dieser Gegend erinnern konnte. Es handelte sich hier sogar um einen der sichersten Abschnitte des Highway 1 in ganz Kalifornien. Südlich von Carmel gab es viele riskante Stellen, zum Beispiel am Schauplatz jenes wirklich tragischen Unfalls, bei dem vor einigen Wochen zwei Mädchen auf dem Rückweg von einer Abschlussfeier ums Leben gekommen waren. Hier hingegen verlief der Highway dreispurig und im Wesentlichen gerade, abgesehen von vereinzelten leichten Biegungen vorbei am Gelände des alten Fort Ord, heutzutage ein Universitätscampus, und den Einkaufsvierteln.
    Der Beamte überlegte kurz, ob er das Kreuz entfernen sollte, aber dann würden die Trauernden womöglich zurückkehren, um ein neues zu errichten, und sich so abermals in Gefahr bringen. Am besten ließ er einfach alles, wie es war. Er nahm sich vor, am nächsten Morgen seinen Sergeant danach zu fragen, was hier geschehen war. Dann kehrte er zu seinem Wagen zurück, warf den Hut auf den Beifahrersitz und strich sich über das kurz geschorene Haar. Als er sich wieder in den Verkehr einreihte, dachte er nicht länger über irgendwelche Unfälle nach, sondern darüber, was seine Frau wohl zum Abendessen kochen würde und ob er mit den Kindern nach dem Essen noch in den Pool springen sollte.
    Und wann wollte sein Bruder doch gleich zu Besuch kommen? Er sah auf die Datumsanzeige seiner Armbanduhr und runzelte die Stirn. Konnte das sein? Ein Blick auf das Display seines Mobiltelefons bestätigte, dass, jawohl, heute der 25. Juni war.
    Wie seltsam. Wer auch immer dieses Kreuz am Straßenrand hinterlassen hatte - ihm war ein Fehler unterlaufen. Der Beamte wusste genau, dass auf dem Pappschild in ungelenker Handschrift der 26. Juni gestanden hatte, der morgige Dienstag.
    Vielleicht waren die armen Trauernden ja so durcheinander gewesen, dass sie sich beim Datum vertan hatten.
    Dann wichen die Bilder des gespenstischen Kreuzes in den Hintergrund zurück, aber sie verschwanden nicht völlig. Auf dem Rest seines Heimwegs fuhr der Beamte etwas vorsichtiger als üblich.
     

DIENSTAG

Kapitel 2
    Der schwache Lichtschein - blassgrün, wie von einem Geist -  tanzte knapp außerhalb ihrer Reichweite.
    Wenn sie ihn doch nur erreichen könnte.
    Wenn sie den Geist erreichen könnte, wäre sie gerettet.
    Der Schimmer, der in der Dunkelheit des Kofferraums schwebte, baumelte wie zum Hohn ein Stück oberhalb ihrer Füße, die genau wie ihre Hände mit Isolierband gefesselt waren.
    Ein Geist...
    Ein weiteres Stück Klebeband verschloss ihren Mund, und sie sog die schale Luft durch die Nase ein. Dabei hielt sie sich bewusst zurück, als könnte der Kofferraum ihres Camry nur ein gewisses Maß an Sauerstoff fassen.
    Ein schmerzhafter Aufprall, als der Wagen durch ein Schlagloch fuhr. Sie stieß einen kurzen, gedämpften Schrei aus.
    Von Zeit zu Zeit glommen andere schwache Lichter auf: ein mattes Rot, wenn er auf die Bremse trat, der Blinker. Draußen blieb es finster; es war kurz vor ein Uhr morgens.
    Der leuchtende Geist schaukelte vor und
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