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Allwissend

Allwissend

Titel: Allwissend
Autoren: Jeffery Deaver
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getauft worden war, nachdem das Mädchen gelernt hatte, was Annex bedeutete. Dann gingen sie und O'Neil hinein.
    Drinnen steuerten sie sofort Kathryns Büro an, wo - wie sie wusste - ihr Team sich bereits versammelt haben würde. Der Raum lag in dem Teil des Gebäudes, der allgemein als der »Mädchenflügel«, oder kurz: »MF«, bezeichnet wurde, weil hier ausschließlich Frauen untergebracht waren: Dance, ihre Kollegin Connie Ramirez, die gemeinsame Assistentin Maryellen Kresbach und Grace Yuan, die Büroleiterin des CBI, die den Laden mit der Präzision eines Uhrwerks am Laufen hielt. Der Name des Flurs ging auf den unglückseligen Kommentar eines gleichermaßen unglückseligen und inzwischen ehemaligen CBI-Agenten zurück, der versucht hatte, mit der vermeintlich schlauen Bemerkung Eindruck bei einer jungen Frau zu schinden, die er in der Zentrale herumführte.
    Alle im MF waren sich bis heute unschlüssig, ob er - oder eine seiner Verabredungen - jemals sämtliche Produkte zur weiblichen Intimhygiene gefunden hatte, die von Dance und Ramirez in seinem Büro, Aktenkoffer und Wagen platziert worden waren.
    Dance und O'Neil begrüßten nun Maryellen. Die fröhliche und unentbehrliche Frau schaffte es mühelos, gleichzeitig ihre Familie und das Berufsleben ihrer Schutzbefohlenen zu managen, ohne auch nur mit einer ihrer dunkel getuschten Wimpern zu zucken. Außerdem war sie die beste Bäckerin, die Dance je gekannt hatte. »Guten Morgen, Maryellen. Wie ist der Stand der Dinge?«
    »Hallo, Kathryn. Bedienen Sie sich.«
    Dance musterte die Schokoladenkekse in dem Glas auf dem Schreibtisch der Frau, wurde aber nicht schwach. Diese Dinger mussten eine biblische Sünde sein. O'Neil hingegen hielt sich nicht zurück. »Das beste Frühstück, das ich seit Wochen bekommen habe.«
    Eier Benedict...
    Maryellen lachte erfreut auf. »Okay, ich habe Charles ein weiteres Mal angerufen und noch eine Nachricht hinterlassen. Ehrlich.« Sie seufzte. »Er ist nicht ans Telefon gegangen. TJ und Rey sind drinnen. Ach, Deputy O'Neil, einer Ihrer Leute vom MCSO ist auch hier.«
    »Danke. Sie sind ein Schatz.«
    In Dances Büro saß der drahtige junge TJ Scanion auf ihrem Platz. Der rothaarige Agent sprang auf. »Hallo, Boss. Wie war das Vorsingen?«
    Er meinte die Zeugenaussage.
    »Ich war ein Star.« Dann erzählte sie den Anwesenden von der bevorstehenden Immunitätsanhörung.
    TJs Miene verfinsterte sich. Auch er hatte den Täter gekannt und war mit fast der gleichen Verbissenheit wie Dance auf einen Schuldspruch aus.
    Scanion beherrschte seinen Job, stellte aber den wohl unkonventionellsten Vertreter dieser Strafverfolgungsbehörde dar, die im Hinblick auf ihre Methoden und ihr Auftreten für gewöhnlich als überaus konservativ galt. Heute trug er Jeans, ein Polohemd und ein kariertes Sakko - Madras, ein Muster, das Dance ansonsten nur von einigen verblichenen Hemden in der Abstellkammer ihres Vaters kannte. Soweit sie wusste, besaß TJ eine einzige Krawatte, und zwar ein exotisches Jerry-Garcia-Modell. Der Mann litt an akuter Sechzigerjahre-Nostalgie. In seinem Büro blubberten zwei Lavalampen vergnügt vor sich hin.
    Dance und er lagen nur wenige Jahre auseinander, aber zwischen ihnen klaffte ein Generationsunterschied. Dennoch passten sie beruflich gut zusammen, wobei ihr Verhältnis bisweilen dem zwischen einer Mentorin und ihrem Schützling ähnelte. Obwohl TJ normalerweise allein arbeitete, was beim CBI nicht gern gesehen wurde, war er vorübergehend für Dances eigentlichen Partner eingesprungen, der nach wie vor mit einem komplizierten Auslieferungsfall in Mexiko zu tun hatte.
    Der stille Rey Carraneo, ein Neuzugang beim CBI, schien auf den ersten Blick das genaue Gegenteil von TJ Scanion zu sein. Er war Ende zwanzig, schlank, mit dunklen, nachdenklichen Gesichtszügen, und trug heute einen grauen Anzug samt weißem Hemd. Im Herzen war er älter als an Jahren, denn er hatte als Streifenpolizist in der Cowboystadt Reno, Nevada, gearbeitet, bevor er wegen seiner kranken Mutter mit seiner Frau hergezogen war. Carraneo hielt einen Kaffeebecher in der Hand; in der Beuge zwischen Daumen und Zeigefinger hatte er eine winzige Narbe, wo vor nicht allzu vielen Jahren eine Bandentätowierung gewesen war. Dance hielt Carraneo für den ruhigsten und umsichtigsten der jungen Beamten der Behörde und fragte sich manchmal, ganz im Stillen, ob seine Erfahrungen aus der Bandenzeit wohl zu seiner Gelassenheit und seiner steten Aufmerksamkeit
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