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Allmen und die Dahlien (German Edition)

Allmen und die Dahlien (German Edition)

Titel: Allmen und die Dahlien (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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dachte, er würde mindestens einen seiner Beschützer mitschicken.«
    »Die warten unten. Und Sie? Auch allein?«
    »Die warten draußen.«
    Allmen bückte sich zum Geldkoffer und öffnete ihn. Tenz warf einen Blick darauf und öffnete seinen Hartschalenkoffer. Weiße Füllstoffchips quollen heraus. Er befreite das Bild, wickelte es aus seiner Luftpolsterfolie und lehnte es an die Wand.
    Allmen kauerte sich davor.
    Dalia Gutbauer hatte recht. Im Original war es Fantin-Latours schönstes Dahlienbild. Die Blumen hatten in ihren überreifen Farben gerade den Zenit überschritten, und die Blütenköpfe begannen, schwer zu werden. Er meinte, das bereits etwas faulige Blumenwasser zu riechen und die Kühle des abgedunkelten Raums zu spüren, in dem der üppige Strauß in seiner schlichten Vase stand.
    »Der Rahmen scheint ein bisschen beschädigt, aber das Bild ist intakt.«
    Während Allmen das Werk betrachtete, zählte Tenz das Geld. Jetzt machte er den Koffer zu und rappelte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. »Das wär’s dann«, sagte Allmen. »Gratuliere.«
    »Gleichfalls.«
    »Und jetzt? Zurück nach Biarritz?«
    Tenz schüttelte den Kopf. »Zu wenig weit weg.«
    Sie gaben sich die Hand, Allmen öffnete ihm die Tür und sah ihm nach, wie er durch den Korridor zum Lift hinkte.
    14
    Der vielgereiste Allmen war ein ganz passabler Kofferpacker. Aber Carlos hatte es in dieser Disziplin zur Meisterschaft gebracht.
    Und wo dieser nun schon einmal hier war, bat Allmen ihn gleich nach dem Abgang von Tenz um einen großen Gefallen.
    Schon als Carlos »gran favor« hörte, wusste er, worum es sich handelte, und begann zu packen. Die Aufgabe war besonders schwierig, weil es die vielen Besuche zu Hause mit sich gebracht hatten, dass Allmen bei seiner Abreise mehr Kleider besaß als bei seiner Ankunft.
    Während sich Carlos dieser Aufgabe widmete, ließ sich Allmen bei Madame Gutbauer anmelden und fuhr mit dem Bild in die vierte Etage.
    Cheryl Talfeld erwartete ihn in der Halle. Monsieur Louis nahm ihm den Koffer mit dem Bild ab und ging voraus in Madame Gutbauers unbenutztes Schlafzimmer. Er öffnete feierlich den Koffer, nahm das Bild heraus, inspizierte die defekte Stelle am Rahmen und murmelte etwas Unverständliches. Er verließ den Raum und kam mit einer Rolle Teppichklebeband zurück. Damit gelang es ihm, den Spalt, der sich in der Eckfuge des Rahmens gebildet hatte, einigermaßen zu schließen. Er hängte das Bild zurück an seinen Platz zwischen den Porträts. Den anderen Porträts, dachte Allmen.
    Während Frau Talfeld ihre Chefin holte, standen Allmen und der Butler stumm und verlegen vor dem Bild.
    »Schön«, sagte Allmen, um der Situation etwas von ihrer Peinlichkeit zu nehmen.
    »Sie sagen es«, antwortete Monsieur Louis feierlich.
    Das Toc. Toc. Toc. Toc. von Madame Gutbauers Gehgestell erlöste sie aus der Verlegenheit.
    Grußlos betrat sie den Raum in Begleitung ihrer Pflegerin. Sie ging auf das Bild zu und blieb erst ganz nahe davor stehen.
    Das Erste, was sie sagte, war: »Es ist beschädigt.«
    »Nur der Rahmen«, sagten Monsieur Louis und Allmen im Chor.
    Ein paar Minuten lang starrten alle fünf auf die Dahlien. Allmen sah Dalia Gutbauer von der Seite an. Ihrem zerfurchten geschminkten Gesicht war nicht anzusehen, was in ihr vorging. Befriedigung? Triumph? Resignation?
    Unvermittelt wandte sie sich ab und sagte: »So!«
    Beim Hinausgehen gab sie Cheryl Anweisungen. »Kümmern Sie sich um den Rahmen. Und lassen Sie die Sicherheitsvorkehrungen auf den neuesten Stand bringen.«
    Monsieur Louis öffnete ihr die Tür. Sie blieb noch einmal stehen. »Ach ja, und erledigen Sie das Administrative mit Herrn von Allmen.«
    Sie drehte sich zu ihm um. »Gut gemacht, von Allmen.«
    Cheryl und Allmen blieben stehen, bis das Toc. Toc. Toc. Toc. verstummte.
    »Ich habe noch immer nicht verstanden, worum es ihr geht«, wunderte sich Allmen, »für drei Millionen hätte sie sich einen anderen Fantin-Latour kaufen können. Einen, der nicht mit all diesen Erinnerungen belastet ist. Oder sind es genau die Erinnerungen, um die es ihr geht?«
    Cheryl Talfeld schüttelte den Kopf. »Madame Gutbauer geht es immer um Sieg oder Niederlage.«
    Auf dem Weg zum Lift sagte sie: »Claude hat gestern angerufen.«
    Allmen erschrak. »Was wollte er?«
    Sie lächelte. »Sich entschuldigen. Immerhin.«
    »Und sonst?«
    »Ein bisschen geplaudert.«
    »Worüber?«
    »Dies und das.«
    »Sie haben ihn hoffentlich zum Teufel
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