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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus
Autoren: Lars Brandt
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hat Trixi am Morgen gefragt, ob sie sich nicht abends treffen wollen. Weil sie mit einigen Leuten aus ihrer Branche verabredet ist, kann sie nicht kommen. Das bedeutet auch, er wird alleine essen. Was er dann auch irgendwo ohne viel Appetit hinter sich bringt. Erwartungsvoll löst er eine Kinokarte. Wann hat er das zuletzt getan? Den Platz kann er sich aussuchen. Nach früherer Gewohnheit setzt er sich in eine hintere Reihe. Am meisten freut er sich auf diese Szene des uralten Films: Der Statist eines Warschauer Theaters darf endlich einmal eine richtige Rolle – die des deutschen Führers  – spielen, und antwortet auf das übliche »Heil Hitler«: »Ich heile mich selbst«.
    Wie oft hat Walter an diese Pointe denken müssen. Jetzt sitzt er im Kino und wartet, aber sie kommt nicht. Als es hell wird und der Film vorbei ist, muss er sich eingestehen, dass er die meiste Zeit geschlafen hat.
    Die Besucher stehen auf und schieben sich aus den Sitzreihen hinaus in den Gang, vor ihm zwei junge Frauen, die sich noch über den Film amüsieren. Vor dem Ausgang stockt der Zug ins Freie. Walters Augen hängen an dem zarten Nacken vor seinem Gesicht. Der Gedanke, dass sich diese Unbekannte die ganze Zeit über mit ihm im Dunklen aufgehalten hat, erregt ihn. Auf der Straße besprechen die beiden noch, welche von mehreren Partys sie zuerst ansteuern wollen. Die eine sieht zu ihm herüber.
    Dann komm doch mit mir, geht es ihm durch den Kopf. Ich zeige dir, wo es langgeht.
    Den kurzen Mantel trägt sie offen, das erlaubt Walter den Anblick ihres elastischen Körpers in Jeans und engem Pullover. Wieso soll er sie nicht ansprechen? Aber erst wenn sie fertig ist mit ihrer aufgedrehten Freundin, das kann nicht mehr lange dauern, und bis dahin tut er so, als fesselten ihn die Vorankündigungsaushänge. Anscheinend hat es geregnet, im Kino war davon nichts zu spüren, aber die Luft riecht frisch und anregend. Walter hat Lust, mit dieser Frau etwas zu trinken und zu hören, wie sich ihre weiche Stimme an ihn richtet. Aber da winkt die schöne Fremde ein Taxi heran, lässt ihre Freundin stehen und fährt davon.
    Der Asphalt glänzt schwarz. Walter sieht die letzten Kinobesucher im Dunkel verschwinden. Bestimmt gibt es Leute, die sich vorspielen können, dass es ihnen Spaß macht, alleine in einer Bar herumzusitzen und die Olive im Martini zu baden. Walter sehnt sich nach dem Bett und einigen Stunden, in denen sein Kopf sich befreit fühlen darf von der rasanten Talfahrt eines Systems, in dem Zabel und Freunde nur ein winziges Teil sind.
    Bob ist offenkundig verstimmt. Er liegt zusammengekringelt auf dem Sofa und ignoriert Walter auch, als er sich vorsichtig gestreichelt sieht und dabei einige nette Worte der Entschuldigung zu hören bekommt, weil sie ihn gleich alle beide so lange alleingelassen haben. Walter lädt den Kater ein, aufs Bett zu wechseln, in das er sich unverzüglich zu begeben vorhat. Auf dem Weg dahin nimmt er einen Band Shakespeare aus dem Regal, aber als er endlich unter der Decke liegt, merkt er, wie überflüssig der ist.
    Kellner bringen Gang um Gang und füllen Glas auf Glas. Sein Freund sitzt ihm gegenüber, der berühmte Künstler aus New York. Gerade sind sie in einer Diskussion über die Farben als solche zum Rot als solchem vorgestoßen, da zieht der Maler ein Tübchen Krapplack aus der Tasche: Hiermit, schlägt er vor, soll er seine Nase tünchen. Was ist das denn? Ausgerechnet eine Tube Krapplack schiebt er ihm über den Tisch? Eine durchsichtigere, schwächere Farbe existiert wohl kaum! Wortlos lässt Mohnerlieser das unsympathische Aluminiumding in der Tasche seines Byssusseidenjacketts verschwinden – und später einfach in den Rinnstein gleiten, als er maßlos verärgert hinter seinem Chauffeur in den Bentley fällt.
    Allerdings zahlt es sich für niemanden aus, den Magnaten veralbern zu wollen. Wer es dennoch versucht, wie dieser Pinseljockey, gewahrt zuerst gar nicht, was geschieht, dann aber bekommt er die volle Wucht der Energie vor den Latz geknallt, über die Mohnerlieser verfügt, weil das die Voraussetzung dafür ist, sich ganz oben zu halten. Noch in derselben Nacht geht er im Laboratorium seines Landsitzes an die Arbeit: entwickelt höchstpersönlich unter Verwendung kraftvollster Deckfarben die richtige Mischung. Denn er ist entschlossen, nichts dem Zufall zu überlassen, immerhin hängt davon ab, ob sie ihn ins Zimmer lassen wird. Nur wenn die Nase das exakt stimmende Rot aufweist, wird sie
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