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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus
Autoren: Lars Brandt
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höchstens zwischendurch zu überspielen versucht, vergleichbar der Unmöglichkeit, tatsächlich davon abzusehen, dass jedes Jahr, jeder Tag und jede Sekunde, alle Gedanken und Träume nur Schritte auf dem Weg in den Abgrund sind. Der Kaffee schmeckt furchtbar. Toreros, hat er irgendwo gelesen, leben in dem Wahn, dass es immer die anderen trifft. Walter greift zum Telefon und sieht auf dem Miniaturbildschirm Trixis Nummer leuchten. Offenbar hat sie vorhin, als er kurz eingeschlafen gewesen ist, versucht, ihn zu erreichen.
    Und hat sie ihr Telefon jetzt eingeschaltet? Nein. Trotzdem wählt er ihre Nummer ein zweites Mal, jetzt gibt er die Ziffern einzeln ein, statt sie automatisch abzurufen. Dasselbe. In der Schwärze vor dem Fenster kommt die ganze Zeit Regen herunter. Möglicherweise sitzt Trixi irgendwo fest, in einem Zug, der nicht weiterkann, oder sie fährt in einem Auto mit, und sie haben eine Panne. Sie und dieser Soldat? Walter öffnet das Fenster und hört Milliarden Tropfen, die zu einem einzigen Ton verschmelzen, den sie aus dem verbliebenen Laub der Äste, dem Asphalt auf der Straße und den Blechkarosserien der Autos am Straßenrand herausholen. Er sieht seinen Wagen wasserglänzend unter der Laterne vor dem Haus. Trixi macht sich nichts aus dem Fahrzeug. Das Auto davor hat ihr besser gefallen. Dieses da ist von ihm alleine bestellt worden, es war als Überraschung gedacht, er hatte sich vorgestellt, sie wäre erfreut, den neuen, bequemen Wagen zu sehen, der abgeht wie eine Rakete. Aber sie kann Lederpolster nicht ausstehen.
    Walter schaltet das Nachtprogramm des Radios ein und wartet auf die Nachrichten. Darin ist nicht die Rede von Betriebsstörungen bei der Bahn oder Massenkarambolagen im Nebel. Er stellt den Apparat aus. Draußen gießt es unvermindert weiter. Bob hat resigniert.
    Walter wählt noch dreimal ohne Erfolg ihre Nummer. Er beschließt sich anzuziehen. Vielleicht ist Trixi dann ja zurück, betet er nochmals. Der Spuk wird vorüber sein. Er geht ins Badezimmer und dreht den klappernden Hahn auf, um sich zuerst einmal gründlich die Finger zu waschen. Lässt das Wasser lange laufen, damit es möglichst kalt ist, bevor er es aus vollen Händen ins Gesicht klatscht. Dann zieht er die Gummikappe über, damit sein langes Haar nur dort nass wird, wo es darunter hervorschaut. Mit voller Kraft lässt er die Dusche auf sich herabprasseln. Das Körpershampoo riecht so wie immer, aber er hat keine Verwendung für den Trost, der an anderen Tagen manches in Ordnung bringt, was kurz zuvor noch entsetzlich durcheinander gewesen ist. Die Tropfen rinnen an den gläsernen Wänden der Kabine hinab, in der Walter heftig atmet, nachdem er den Hahn auf eiskalt umgestellt hat. Ein schneidender, klärender Sturzregen, dem er sich überall aussetzt. Walter hört über seiner Schädeldecke das Trommeln auf dem Gummi.
    Er stellt das Wasser ab, angelt nach dem Handtuch und reibt sich trocken. Die frische Luft des Badezimmers ist nun warm. Meist gibt ihm das ein gutes Gefühl. Anders heute. Es funktioniert nicht. Keiner der kleinen Kniffe führt ihn einen Millimeter weg vom Rand des riesigen schwarzen Lochs. Die Gummikappe sieht im Spiegel aus wie eine künstliche Glatze, und die roten Haare, die unter dem Rand hervorkommen, bilden einen gekringelten Kranz um die Ohren. Nachdem er die Flasche mit dem Schaum geschüttelt hat, drückt er auf den Knopf und verteilt die weiße Masse um den Mund, auf den Wangen und dem Hals. Dann zieht er das Rasiermesser auf dem Streichriemen ab. Als er wie immer mit der linken Wange beginnt, streift er die Nasenspitze. Der kleine Schnitt ist kaum zu bemerken, aber sofort tritt eine erstaunliche Menge Blut aus und färbt die Nase leuchtend rot. Er starrt in den Spiegel, dann wäscht er das Blut ab und tupft die Nase trocken. Das Badetuch um die Hüfte gespannt, die Kappe auf dem Kopf und das kleine Handtuch um den Hals, geht er hinüber in die Küche, um nachzudenken.
    Er schüttet den restlichen Kaffee in den Abguss, spült die Glaskanne durch und setzt die Maschine neu in Gang. Sofort beginnt das Wasser in den Filter zu tropfen. Walter verfolgt den steigenden Pegel in der Kanne, während sich das Wasser in das schwarze Getränk verwandelt, dessen Duft sich ausbreitet. Das Tröpfeln hört auf, er stellt die alte Tasse ins Spülbecken und füllt eine saubere mit frischer Milch und heißem Kaffee. Auf der Fensterscheibe kleben tausend Wassertropfen. Kaum irgendwo leuchtet es aus einem
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