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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus
Autoren: Lars Brandt
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dieser Sommernächte über der Isar wurde Trixi durch sein lautes Gelächter wach. Walter war nachmittags von einer Reise in die Tropen zurückgekehrt. Er war am Bau einer Rakete beteiligt gewesen, und seine Firma hatte ihn zum Start nach Südamerika geschickt. Wachgehalten vom Wechsel der Zeitzonen, zufrieden an ihrer Seite liegend, aber trotzdem nicht ganz bei ihr, war er plötzlich vom Motorengetöse auf den Straßen an die Brandung des Atlantiks erinnert worden und hatte zu lachen begonnen. Und gerade dann erzählte er auf einmal aus seiner Techniker-Welt, von der er sonst alles für sich behielt, irgendetwas, das sie nicht verstand: von plumpen Tanks, von einem Fremdenlegionär, vom Urwald, von der Explosion am Himmel.
    In der nächsten Zeit entdeckte Walter immer mehr Seiten an seinem Beruf, die ihn störten. Einmal kritisierte er betriebliche Abläufe, das andere Mal den unbeholfenen Umgangsstil hochqualifizierter Quadratschädel, wenn sie eine Minute nicht mit jenen Problemen zu tun hatten, die sie so virtuos zu lösen verstanden. Als ihm Mirko Zabel anbot, in seine Werbeagentur einzusteigen – ein Freund, der sich schon lange fragte, ob Walter nicht im falschen Beruf arbeitete –, griff er zu. Überrascht erlebte Trixi, dass Walter seine Existenz als Ingenieur in einem großen Metallwerk ablegte wie einen verschlissenen Mantel. Einige Jahre diente er Zabel als Informationsbeschaffer, Infobroker, wie sie es nannten. Es machte Spaß, Walter recherchierte kreuz und quer und konnte seine analytischen Fähigkeiten darauf verwenden, den Kern jeder Sache herauszuarbeiten, um ihn sauber präpariert auf den Konferenztisch bei München leuchtet (so hieß die Agentur) zu legen. Inzwischen aber waren die besten Textideen oft von ihm. Vor einigen Jahren hatte Mirko Zabel Bayern den Rücken gekehrt und am Oberrhein eine neue Agentur eröffnet, Walter war als Kreativdirektor mitgegangen. Die Firma war nun Zabel und Freunde benannt.
    Trixi und Walter besitzen eine große Wohnung. Es herrscht kein Mangel an Platz, nur an Freunden. Für Trixis Arbeit ist es gleich, an welchem Ort sie wohnen. Inzwischen macht sie ihre eigenen Filme. Sie reist viel und sieht sich um. Wo sie abfährt, spielt dabei keine große Rolle. Dass sich Zahnpasta eignet, kleine Löcher in weißen Wänden zu stopfen, hat sie in einer Kölner Galerie beobachtet, wo zum Ausstellungsende eine junge Frau mit Tube in der Hand durch die Räume ging und danach alles wieder aussah wie neu.
    Vorhin im Bett hat Walter wissen wollen, was sie so komisch finde, und sie hat ihm ein paar Zeilen aus dem Buch vorgelesen: »Offenbar hatte der Zirkus auf seinem Weg nach Fialta eine Vorausabteilung vorgeschickt: Eine Reklameprozession zog vorüber. Die vergoldete Rückwand eines Gefährts entschwand, ein Mann im Burnus führte ein Kamel, vier hintereinander gehende mittelmäßige Indianer trugen an Stangen Plakate, und hinter ihnen saß dank einer Sondererlaubnis der kleine Sohn eines Touristen im Matrosenanzug andächtig auf einem winzigen Pony.« Er hat sie nur gequält angesehen, nichts gesagt und ist aufgestanden.
    Endlich kommt er aus dem Bad. Während der Kaffee in die Glaskanne tröpfelt, schneidet Trixi rohe Niere auf, die sie Bob auf den Boden stellt. Walter tritt mit der ersten Tasse hinaus auf den kleinen Küchenbalkon. Er hat einen blutgetränkten Fetzen Klopapier auf der Wange. Wie aus Blei gegossen steht er jetzt dort in der grauen Morgenluft, starrt vor sich hin und bietet dem Nebel die Stirn. Dahinter türmen sich, nur für ihn selbst zu ahnen, die bunten Bausteine einer ungeordneten Welt. Walter nippt am dampfenden Kaffee und geht hinein, gehüllt in einen Pelz aus kalter Luft, der sich schnell auflöst, während er am Tisch sitzt und Trixi zulächelt. Vom Küchenboden steigt beißend der Gestank der Niere auf. Er sagt leise ein paar Worte über die Schwierigkeiten, denen sie infolge der Wirtschaftskrise ausgesetzt sind. Immerhin lebt die Agentur davon, dass es anderen, die etwas anzubieten haben, gutgeht. Er ist nicht enttäuscht, als er merkt, dass Trixi mit ihren eigenen Gedanken anderswo ist. Erzählte er ihr etwas über sein Leben, über das Glück, das ihn durch sie erfüllt, wäre sie nicht so abwesend. Sie träumt vor sich hin – bis ein großer Knall dem ein Ende setzt.
    Tatsächlich nimmt Trixi nur einen Teil von dem auf, was er in halbdeutliche Sätze gepackt von sich gibt. Das alles kennt sie nämlich schon. Bitteres Gerede, nichts als
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