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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus
Autoren: Lars Brandt
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»Gedanken sind auch Luft. Je praller der Ballon gefüllt ist, desto besser. Ideen verlieren sich, wenn man sie nicht auffängt, sie sind etwas Leichtes, Beschwingtes. Deswegen haben wir in der Agentur auch keine Angst vor der Zukunft. Druck? Metall bedeutet Druck. Metall ist schwer, das ist eine andere Welt. Ich nehme Crème brûlée.«

Die Neue
    Sandra wechselt schnell das Thema – Walter hat gerade noch ihr »Walter Tomm hat keine Kraft, das sage ich schon immer!« gehört – jetzt nuschelt sie schnell irgendetwas Unverfängliches, Ähnlichlautendes ins Telefon wie: »Bloß keine Atomkraft, alles andere, aber kein Atom!«. Er ignoriert den Vorfall, der ihr natürlich unangenehm sein muss, und verschwindet in seinem Büro. Wie jeden Tag sucht sein Blick dort zuerst das Foto an der Wand und darin Trixis Augen, die ihn ansehen. »Roses have thorns, and silver fountains mud.« Er setzt sich an den Schreibtisch und schaut sich um in seinem Direktorenzimmer. Komisch kommt es ihm plötzlich vor, dass er hier ist. Warum gerade an dieser Stelle, in dieser Stadt, mit der Trixi und ihn nichts verbindet? Warum sitzt er nicht in einem der vielen Ingenieurbüros bei seiner früheren Firma in München vor dem Computer und entwirft Raketenteile? Dort war es üblich gewesen, die Schreibtische zusammenzuschieben. Dieser Tisch hier ist zweimal so groß, Laptop und Telefon verlieren sich irgendwo auf der weiten Glasplatte. Das ist die Absicht: Großzügigkeit. Ausreichend freie Fläche. Bloß keine radiergummikrümelige Enge. Walter fasst die Zimmerecke hinten links ins Auge. Er stellt sich vor, wie sich dort ein Bildschirm mit dem dreidimensional bunt leuchtenden Entwurf eines neuen Raketentanks machen würde, dazu ein kunststoffbeschichtetes weißes Regal mit Kaffeemaschine und ein paar Tassen.
    Vor ihm liegt die neue Post auf einem Haufen älterer unbearbeiteter Briefe. Daneben stapeln sich Unterlagen zu verschiedenen Projekten, in seiner Abwesenheit ist offenkundig noch einiges dazugekommen. Der Arztbesuch, den er gerade hinter sich gebracht hat, war erwartungsgemäß wieder blanke Zeitverschwendung. Baldrian? Das Töpfchen mit den wirkungslosen kleinen Dragees steht vor ihm. Solches Zeug wird einem in jedem Supermarkt nachgeworfen, dafür bedarf es nun wirklich keiner Untersuchung mit anschließender Verordnung durch einen Doktor der Medizin. Aber gut, er hat seiner Frau den Gefallen getan. Wenn er nicht achtgibt, wird er den spöttischen Unterton kaum vermeiden können, falls sie von ihm wissen will, was herausgekommen ist. Glaubt sie etwa, Mittel zur Behebung der Wirtschaftskrise würden vom Hausarzt verschrieben? Dass gerade überall, auf dem gesamten Erdball, die ökonomischen Grundfesten erst wanken, dann bersten und schließlich zusammenstürzen wie Badeschaum, ihr scheint das nicht aufzufallen. Er geht zum Kühlschrank im Konferenzraum, füllt ein Glas mit Eiswürfeln, auf die er Mineralwasser gießt, und spült eine Handvoll seiner Baldrianperlen hinunter. Auf dem Konferenztisch hat Cora Hagen, die neue Mitarbeiterin, ein paar Plakatentwürfe ausgebreitet und diskutiert sie gerade mit Rüdiger Tondorf. Im Vorübergehen weist er Sandra an, die noch immer wie ertappt aussieht, ihn mit dem Tauchert Verlag zu verbinden, was er schon einige Tage vor sich herschiebt. Mirko hat ihn darum gebeten.
    Zu seiner Überraschung hört sich der Mann aus dem Vorstand keineswegs bedrückt an, sondern geradezu munter. Peinlich ist es ihm jedenfalls nicht, Walter unverblümt zu eröffnen, was allerdings schon durchgesickert ist: Dass sie nämlich beschlossen haben, nach der spektakulär gescheiterten Einführung ihrer wichtigsten und teuersten Zeitschriften-Neuentwicklung seit langem keine weiteren Zahlungen an Zabel und Freunde zu leisten. Das vereinbarte Honorar sei maßlos überzogen und beruhe auf Voraussetzungen, die nicht mehr gegeben seien.
    Walter verzichtet auf eine Diskussion. Das Blatt ist überflüssig, und die Leute, die es kaufen sollen, lassen sich das Gegenteil nicht weismachen. Zabel und Freunde haben alles versucht, ihnen sind keine Fehler unterlaufen. Sie haben bloß nicht Unmögliches vermocht. Die Anwälte lassen von sich hören, das ist alles, was er sagt, bevor er die Unterhaltung beendet.
    Am Abend verlässt er sein Büro etwas eher, als er es nach dem beim Arzt vertrödelten Vormittag eigentlich korrekt findet, aber er will sich endlich wieder einmal einen Film ansehen, auf großer Leinwand, so wie früher. Er
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