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Alles Wurst

Alles Wurst

Titel: Alles Wurst
Autoren: Christoph Guesken
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Besuchs«, fuhr sie fort, ohne Luft zu holen. »In Kürze werden in dieser Stadt die ersten Reformationsspiele abgehalten. Die Hauptvorstellung wird auf dem Lambertikirchplatz stattfinden, unter Einbeziehung der Täuferkäfige, die eigens zu diesem Zweck mit einer Liftvorrichtung versehen wurden.«

    »Faszinierend«, sagte ich, ohne fasziniert zu sein.

    »Wir haben in dieser bahnbrechenden Angelegenheit nichts dem Zufall überlassen. Alles war für sein Auftreten vorbereitet und lief so weit perfekt. Aber dann ist er spurlos verschwunden.«

    »Wer?«

    »Unser Jan van Leiden«, blaffte Frau Nebel, die offenbar nicht zu den Leuten gehörte, die sich gern wiederholten. »Für die Menschen, die seinen Auftritt erwarten, ist er so etwas wie ein Messias.«

    »Gerade neulich«, fiel mir ein, »habe ich einen Messias kennengelernt. Der war ganz schön schräg drauf.«

    Sie reichte mir ein Foto.

    »Ja, das ist der Mann«, sagte ich.

    »Wann haben Sie ihn getroffen? Und wo?«

    »In der düstersten Kneipe der Stadt. Am Samstagabend. So wie ich ihn verstanden habe, hatte er keine Lust mehr, Messias zu spielen.«

    Frau Nebel schüttelte ärgerlich den Kopf. »Was bildet der sich ein? Ich verlasse mich auf ihn. Wenn er nicht zu den Proben erscheint, können wir das Ganze vergessen. Er kann jetzt nicht mehr aussteigen.«

    »Offenbar ist er das aber.«

    »Wissen Sie, Herr Defries ist nicht gerade ein einfacher Mensch. Er hat seine Launen und Stimmungen und glaubt, dass er eigentlich ein großer Maler ist. Obendrein hält er sich für unwiderstehlich. Aber all das macht ihn zum idealen Täuferdarsteller.«

    »Seine Stimmungen?«

    »Jan van Leiden, der echte«, wieder dieser belehrende Tonfall, »war ein begnadeter Schauspieler. Charismatisch und grausam zugleich. Schließlich hat er ohne zu zögern eine seiner Frauen geköpft, weil sie ihm das falsche Hemd zum Ausgehen bereitgelegt hat.«

    »Und so ist Herr Defries auch?«

    »Nur im übertragenen Sinne. Ich bin sicher, dass er seinem großen Auftritt entgegenfiebert. Es ist für ihn die Chance, groß rauszukommen. Außerdem würde er seine Freunde niemals enttäuschen.«

    »Seine Freunde?«

    »Die Gemeinde. Sie trifft sich jeden Abend um zwanzig Uhr dreißig in der Katholischen Studentengemeinde. Und dann wären da auch noch die Veranstalter der Festspiele, die auf ihn zählen.«

    »Sie wollen sagen, diese Leute halten ihn allen Ernstes für den historischen Jan van Leiden? Also lag ich doch nicht so falsch mit den Untoten, was?«

    »In den Glauben habe ich mich nicht einzumischen«, antwortete Frau Nebel strikt. »Münster ist eine Stadt, die sich auf ihre weltanschauliche Toleranz und Vielfalt etwas einbildet.«

    »Herr Defries erwähnte einen Theologieprofessor, der offenbar ein guter Freund von ihm ist.«

    Frau Nebel nickte. »Professor Haberland. Er hat einen Lehrstuhl für empirische Theologie an der WWU.« Der Kaffee war alle. »Werden Sie Herrn Defries also suchen?« Sie überreichte mir eine Visitenkarte.

    »Ich bin nicht billig«, sagte ich. »Mein Honorar wird fällig unabhängig davon, ob ich den Mann finde oder nicht.«

    »Was das angeht, werden wir uns sicherlich einig.« Antje Nebel lehnte den Briefumschlag mit dem Vorschuss diskret gegen die Tasse und erhob sich.

    Okay, dachte ich. Angesichts des prall gefüllten Umschlags war ziemlich klar, dass Messiasse zu suchen meine Spezialität war.

    »Ich kann Ihnen aber nichts versprechen«, wollte ich vorsichtshalber ihre Erwartungen dämpfen, aber sie war schon aus der Tür.

    Das Telefon klingelte.

    Ich nahm ab. » Kittel & Voss, Recherchen und Sicherheitsmanagement. Was kann ich für Sie tun?«, meldete ich mich.

    »Ich bin’s.«

    »Wer?«

    »Komm schon, Henk, lass den Scheiß.«

    »Tut mir leid. Wenn Sie meinen Partner sprechen wollen, der hat sich verspätet. Natürlich kann er nichts dafür. Sein Wecker ist schuld, behauptet er. Ich denke, er wird jeden Moment hier sein.«

    »Tja, jeden Moment – das halte ich aber für leicht übertrieben.«

    »Was, verdammt noch mal, soll das heißen?«

    »Dass ich auf einer Fortbildung bin. Die dauert noch bis zum Wochenende.«

    Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Auf einer Fortbildung?«

    »Veranstalter ist die Private Eyes Academy. Das Thema lautet: Private Recherche im einundzwanzigsten Jahrhundert. Das darf ich nicht verpassen.«

    »Moment mal, Kittel: Du wolltest durchstarten, und jetzt, wo es losgeht, verdrückst du dich zur
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