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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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im College schon begegnet.
    »Mrs. Bliss«, sagte ich zu ihr, »bitte verzeihen Sie. Ich wußte nicht …«
    Sie war ihrer Stimme nicht mächtig und winkte mit flatternder Hand ab.
    Ich brachte die beiden Frauen zur Haustür, die beinahe unverzüglich von William Bliss geöffnet wurde.
    »Van Tassel! Was hat das zu bedeuten?« fragte er.
    »Ein Brand im Hotel«, erklärte ich eilig. »Wir können von Glück sagen, daß wir mit dem Leben davongekommen sind.«
    »Guter Gott!« Er legte den Arm um seine Frau und führte sie ins Haus. »Wir haben uns schon über das schaurige Bimmeln und Tuten gewundert.«
    Ein Hausmädchen nahm der Frau mit den goldbraunen Augen das Kind ab, worauf diese sich mir zuwandte. Sie schob die Wolldecke von ihren Schultern und reichte sie mir.
    »Bitte, nehmen Sie die für die Heimfahrt«, sagte sie. »Meine Tante und ich stehen tief in Ihrer Schuld.«
    »Nicholas Van Tassel«, sagte ich.
    »Etna Bliss.«
    Wieder legte sie ihre warme Hand in meine Hand. »Wie kalt Sie sind.« Sie blickte zu Boden und entzog mir ihre Hand gleich wieder. »Wollen Sie nicht hereinkommen und sich aufwärmen?«
    Obwohl ich nichts sehnlicher wünschte, als in dieses Haus einzutreten, das Wärme bot und mögliche Liebe (wie schnell Hoffnung wächst!), wußte ich, daß das unter den Umständen nicht schicklich wäre.
    »Das ist sehr liebenswürdig, danke, aber ich möchte mich verabschieden«, sagte ich. »Sie müssen jetzt hineingehen.«
    »Ich danke Ihnen, Mr. Van Tassel«, sagte sie, und ich hatte den Eindruck, daß sie in Gedanken bereits bei ihrer Tante und dem Kind war und bei dem heißen Bad, das sie gewiß erwartete, denn mit diesen Worten schloß sie die Tür.
    An dieser Stelle vielleicht ein Wort über meine eigenen Lebensumstände zu jener Zeit, im Dezember 1899. Ich halte es für wichtig, die Tatsachen seiner Herkunft und Geburt an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Es wird über den Forderungen des Alltags häufig versäumt, über diese Dinge zu sprechen, und dann versinken sie mit der Zeit in den Nebeln der Vergangenheit. Mein Vater, Thomas Van Tassel, kämpfte im Sezessionskrieg beim 64. New Yorker Regiment und verlor in Antietam ein Bein, was seiner Manneskraft jedoch keinerlei Abbruch tat; ich war eines von elf Kindern, die er mit drei einander ablösenden Ehefrauen zeugte. Meine Mutter, seine erste Frau, starb bei meiner Geburt, so daß ich sie nicht kennengelernt habe. Ich kannte nur die beiden anderen Frauen. Mein Vater war nicht nur ein produktiver, sondern auch ein wagemutiger Mann, der im Lauf seines Lebens drei beachtliche Geschäftsunternehmen aufbaute: eine Druckerei, wo ich in jungen Jahren in die Lehre kam; eine Wagnerwerkstatt; und dann, als das Pferd vom Motor verdrängt wurde, eine Automobilhandlung. Erinnerungen an meinen Vater spielen vor allem in der Druckerei, sonst kannte ich ihn kaum. In diese Räume, in denen es nach Papier und Druckerschwärze roch, floh ich oft aus unserem überfüllten Haus in Tarrytown, New York, wo zunächst die zweite und dann die dritte Ehefrau herrschte, die eine kalt, die andere schwermütig, keine von beiden mir besonders gewogen. Ich war ja der Sohn der ersten Frau, der einzigen, die mein Vater geliebt hatte, wie er in regelmäßigen Abständen hemmungslos zu verkünden pflegte, ohne sich darum zu kümmern, daß diese Äußerung unklug war und stets Traurigkeit oder Kälte hervorrief. Jedoch fehlte es mir in der Kindheit nicht ganz an mütterlicher Wärme; ich hatte eine Schwester, der ich sehr nahestand, Meritable, ebendie Schwester, zu deren Begräbnis ich jetzt reise.
    Vielleicht weil ich so viel mit dem Druckereigewerbe zu tun hatte, entwickelte sich bei mir schon früh eine Leidenschaft zu lernen, und so wurde ich mit sechzehn aufs Dartmouth College geschickt. Ich erinnere mich noch heute, wie glücklich ich war, als ich entdeckte, daß ich ein Zimmer für mich allein haben würde. Zu Hause hatte ich mir das Zimmer stets mit mindestens drei Geschwistern teilen müssen.
    Das College genießt einen beachtlichen Ruf und ist weithin bekannt, ich lasse mich deshalb an dieser Stelle nicht weiter darüber aus, sondern beschränke mich auf die Bemerkung, daß ich dort kurze Zeit mit dem Gedanken spielte, Geistlicher zu werden, diese Absicht jedoch später wieder aufgab, da mir die rechte Frömmigkeit fehlte.
    Nach meiner Promotion, ich war mittlerweile zwanzig Jahre alt, reiste ich zwei Jahre im Ausland, dann wurde mir der Posten eines
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