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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman
Autoren: Jo Lendle
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geritzt, Höhenmarkierungen, aber auch Bilder, ein Tierkörper, womöglich ein Wolf. Daneben Hände, in den Firn hineingeschmolzen. Wie lang ihnen die Zeit geworden sein musste.
    Dann ein Absatz. Und während der eigentliche Gang fast senkrecht weiter in die Tiefe führte, zweigten zu beiden Seiten Höhlen ab, deren rechte Georgi als Wohnraum vorstellte. Das Bad liege gegenüber. Wegener verstand nun, woher all die Schneeblöcke stammten, aus denen sie oben die Sturmmauer errichtet hatten.
    Die gute Stube lag hinter einem Vorhang aus zwei Rentierfellen, dahinter war es dunkel. Bevor Wegener eintrat, brach er eine Handvoll Schnee aus der Wand, klumpte ihn zu einem halbwegs runden Ball zusammen und warf ihn hinab in die Tiefe. Es war kein Geräusch zu hören. Aber vielleicht war der Firn am Boden auch nur so weich, dass er den Aufprall dämpfte.
    Sorge entzündete zu ihren Ehren den Ofen. Wegener sah, dass die Höhle mit weißem Farn überwuchert war, tausend kleine Blätter rankten sich herab. Es dauerte einen Moment, bevor er begriff, dass es kein pflanzliches Leben
sein konnte. Was die Decke überzog, war die zu Reif gefrorene Atemluft.
    Die Wände der Höhle waren wie aus weißem Marmor gefügt, der Ruß hatte die typischen Schlieren und Bänder ergänzt. Als das Feuer brannte, drehte Sorge sich fast entschuldigend zu ihnen um und sagte, sie würden eigentlich kaum mehr heizen. Seit der Entscheidung, hierzubleiben, verbrächten sie ganze Tage im Schlafsack, um Petroleum zu sparen.
    Wie schnell sich der Raum erwärmte. Doch trotz des Feuers blieb es dunkel und wurde bald stickig. Wegener hatte nicht den Eindruck, dass ihm der Licht- und Temperaturwechsel nach all den Wochen an der frischen Luft besonders gut bekam. Rasmus wurde regelrecht apathisch, er musste sich setzen. Jemand versorgte sie mit einem Stück Schokolade, das verblüffend lange im Mund blieb, ohne zu schmelzen. Und als es sich doch noch auflöste, überschwemmte es den Mundraum mit seiner Süße und Klebrigkeit, so dass Wegener auf einmal hinüber zum Austritt laufen musste, um sich zu übergeben.
    Als er zurück war und sich stark genug zum Sprechen fühlte, dankte Wegener in einer kurzen Ansprache Georgi und Sorge für das Halten der Station und erklärte die Lage. Ihre drei Schlitten seien der klägliche Rest der Unternehmung. Bis auf Rasmus hätten ihn alle Grönländer im Stich gelassen, er könne es noch immer kaum verwinden. Statt der geplanten zwei Wochen seien sie vierzig Tage unterwegs gewesen.
    »Wie Jesus«, witzelte Sorge. Wegener ging nicht darauf ein.

    Georgi sprach die Frage aus, die Wegener gefürchtet hatte. Warum sie dann überhaupt gekommen seien. Es lag kein Vorwurf in seiner Stimme.
    Wegener versuchte die Antwort ebenso aufgeräumt klingen zu lassen. »Als wir merkten, dass wir keine Hilfe mehr sein würden, reichten unsere Vorräte schon nicht mehr aus, um an eine Umkehr zu denken. Wir haben nur noch gehofft, hier Lebensmittel zu bekommen.«
    Der kleine Petroleumofen zischte. »Und«, fuhr Wegener fort, »ich habe Sie beide davor bewahren wollen, die Station auf eigene Faust aufzugeben.«
    Niemand antwortete. Vielleicht war es etwas zu scharf herausgekommen. Gemeint hatte er: auf eigene Faust zu verlassen. Aber das nachzuschieben hätte wie eine Entschuldigung geklungen. Also ergänzte Wegener nur, zu Georgi gewandt: »Immerhin ist es im Sommer ja Ihre Entscheidung gewesen, bei der ersten Schlittenreise eher Instrumente mitzuführen als Proviant und Brennstoff.«
    Ein Tropfen Schmelzwasser löste sich von der Decke und fiel zwischen ihnen auf den Tisch.
    »Das scheint mir«, sagte Georgi dann, »ein müßiges Gespräch zu sein. Wir sollten jetzt sehen, wie sich das Beste aus den Gegebenheiten machen lässt. Wollen Sie nicht erst einmal einen Eindruck von der Station gewinnen?«
    Sie wollten.
     
    »Nur eine kurze Runde durchs Haus«, versprach Georgi. Wie ein Landadeliger schlurfte er in Wollstrümpfen und Strickjacke durch den Wohnraum und führte ihnen die aus Schnee errichteten Schlafpritschen vor, als stünde sein Anwesen zum Verkauf. Beeindruckt folgten Rasmus und Wegener
seinem Vortrag. Loewe dagegen war zu schwach für die Führung, er ließ sich von Sorge eine provisorische Bettstatt einrichten und sank mit großem Seufzen darauf nieder.
    Sie bekamen die Kirche gezeigt – eine Nische über Lampe und Primus, wo die Abwärme eine regelrechte Kuppel in die Firndecke geschmolzen hatte.
    »Keine Heiligenbildchen?«, fragte
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