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Aller Anfang ist Mord

Titel: Aller Anfang ist Mord
Autoren: Jutta Maria Herrmann
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anfänglichen Widerstand von Homann und Grulich.
    „Georg?“
    Ich reiße meinen Blick von der Waffe los. Homann starrt mich immer noch an.
    Ich drängle mich an Homann vorbei und stelle mich neben den Rollstuhl. Die linke Hand lege ich auf Saalfelds Schädel, mit dem Handrücken der rechten Hand, in der ich weiterhin die Pistole halte, drücke ich sein Kinn hoch. „Hier, schau ihn dir an“, sage ich. „Sieht so jemand aus, der seine Handlungen bereut? Wenigstens jetzt, hier auf den letzten Metern. Nein, der … der grinst doch noch.“
    Saalfelds Lider flackern, sein Mund klappt auf und zu. Ich merke, dass er sprechen will.
    Grulich, der auf der anderen Seite des Rollstuhls steht, beugt sich dicht über Saalfelds Gesicht. „Schlaganfall?“, fragt er leise. Saalfeld nickt. Grulich dreht sich zu mir um. Er sagt nichts, aber ich sehe den Triumph in seinen Augen – als ob es darum gehe.
    „Quatsch“, sage ich. „Er hat einen Selbstfahrer und starke Arme. Du weißt, wie anstrengend es war, seine Handgelenke am Rollstuhl festzubinden.“
    Mir entgleitet die Situation, alles muss jetzt Schlag auf Schlag gehen. „Ich fange an“, sage ich daher schnell und mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet.
    Homann grinst halbherzig. Grulich sehe ich nicht an.
    Ich stelle mich direkt vor Saalfelds Rollstuhl und fixiere dieses im Grinsen erstarrte Gesicht. „Hattest du ein schönes Leben da unten in Afrika die letzten vierzig Jahre?“ Ich habe keine Reaktion erwartet, daher bin ich erstaunt, dass er den Kopf schüttelt.
    „Das halbe Dorf war damals im Gerichtssaal“, sage ich. „Aber du hast nur deinen Anwalt geschickt. Nach dem Urteil hätte man von dir zumindest eine Stellungnahme erwartet. Keiner rechnete mehr mit einer Entschuldigung, schließlich hatte man dich freigesprochen, aber ein paar persönliche Worte wenigstens, das wärst du ihnen schuldig gewesen. Du aber, du saßt zu dem Zeitpunkt schon in deinem Flieger, oder?“ Ich mache eine kurze Pause, prüfe, ob Saalfeld irgendeine Regung zeigt. Sein Gesicht wirkt wie eingefroren, und da er den Blick gesenkt hält, kann ich auch nicht in seinen Augen lesen.
    „Du konntest keinem aus dem Dorf mehr in die Augen sehen“, fahre ich fort, „hast dich jeder Konfrontation entzogen. Aber das, das holen wir heute nach, im kleinen Kreis holen wir das jetzt nach, verstehst du? Huber fehlt leider, aber ich … ich werde ihn vertreten.“ Ich schaue in die Runde. Homann nickt. Grulich betrachtet Saalfeld mit gerunzelter Stirn.
    „Hubers Frau Luise wurde nur 35 Jahre alt. Die Töchter …“ Meine Zunge fühlt sich wie ein Fremdkörper an, ich warte einen Moment, bis sich etwas Speichel in meinem Mund gesammelt hat, dann spreche ich weiter: „Die Töchter Ute und Petra starben mit vier beziehungsweise fünf Jahren am selben Tag wie ihre Mutter.“ Ich lasse die Worte ausklingen, dann füge ich hinzu: „Und Lena wurde nur zwei, sie ist kurz vor ihrem dritten Geburtstag gestorben.“
    „Lena? Wer ist Lena?“ Grulich sieht mich erstaunt an.
    „Meine Tochter“, antworte ich.
    Grulich öffnet den Mund, dann klappt er ihn wieder zu, als habe er sich die Antwort selbst gegeben. In seinem Blick allerdings sehe ich die Frage weiterhin.
    „Homann, jetzt du“, sage ich.
    „Das macht doch alles keinen Sinn“, murmelt er leise, mehr zu sich selbst gewandt. Er räuspert sich, spricht dann lauter weiter, und ich merke mit jedem Wort, wie der alte Zorn in ihm wächst. Mit Elke sei er erst wenige Monate verheiratet gewesen, als das Unglück geschah. Sie hat damals in dem Kindergarten als Erzieherin gearbeitet und das Sommerfest mit organisiert. Nicht mal dreißig ist sie geworden. Homann kämpft mit den Tränen.
    Grulich stellt sich dicht neben ihn, legt eine Hand auf seine Schulter, dann beginnt er von seinem Sohn Karsten zu sprechen. Karsten und er hätten es nicht leicht gehabt, weil Maria ja schon im Kindbett gestorben war, und er sich durch den Beruf nicht so um den Sohn kümmern konnte, wie es vielleicht nötig gewesen wäre. Auf jeden Fall ist Karsten sein Ein und Alles gewesen, und seit dessen Tod bei dem Sommerfest hat er es nicht mehr geschafft, seinen Beruf weiter auszuüben. Nach der Beerdigung ist er dann direkt beim Huber mit ins Haus eingezogen, und Homann haben sie ein paar Wochen später auch dazu geholt. Ohne diese beiden hätte er sich wahrscheinlich aufgeknüpft, so wie der Meier, der auch Frau und Kinder verloren hatte.
    Ich sehe zu Saalfeld rüber,
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