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Aller Anfang ist Mord

Titel: Aller Anfang ist Mord
Autoren: Jutta Maria Herrmann
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vorsichtig wischt sie, damit er die Bewegung nicht sieht.
    Er steht vor ihr, nackt bis auf die Unterhose. Sie hat es geahnt, hat vor Stunden die helle junge Stimme im Garten gehört, heitere Worte, die zu ihr hoch klangen. Dann wurde es draußen still, im Keller hat es gerumpelt, die schwere Tür im Niedergang wurde zugezogen. Dann hat sie nichts mehr gehört. Das Haus ist alt, dicke Mauern, solide gebaut. Er würde es wieder tun. Sie hat es schon nach dem ersten Mal geahnt, hat gebetet, Abbitte geleistet für ihn, und für sich selbst, für ihr Versagen. Sie hat sich die Schuld gegeben und dann hat sie einen Plan gefasst. Wenn Gott ihr nicht verzeihen kann, muss sie es auf sich nehmen. Jetzt hat er es wieder getan, Monate sind vergangen, sie hat etwas Zeit bekommen, konnte sich vorbereiten, dafür ist sie dankbar. Noch aber ist es nicht so weit, noch ist sie zu schwach, sie muss warten, denn sie wird nur diese eine Chance bekommen.
    „So Mutter, jetzt wird dich dein kleines Mädchen füttern.“ Er hat das Tablett auf der Bettdecke abgestellt, kurbelt den Kopfteil des Bettes hoch, setzt sich dann auf die Bettkante, ganz dicht vor ihr Gesicht. „Ich bin eine gute Tochter, dein kleines Mädchen ist eine gute Tochter … Ich liebe dich, Mutter … liebst Du mich auch, Mutter? Hast du deine kleine Tochter ganz lieb?“
    Sie nickt. Sie würde gerne schreien, aber sie hat keine Stimme mehr seit dem Schlaganfall. Sie nickt, weil sie nichts anderes tun kann, nicht jetzt.
    „Du siehst mich nicht an. Schau dein kleines Mädchen an. Liebst du mich jetzt, Mutter? Liebst du dein kleines Mädchen von ganzem Herzen?“
    Sie nickt und spürt, wie die erste Träne über ihre Wange läuft.
    Sein Lächeln erstirbt, fassungslos starrt er auf ihr weinendes Gesicht. Dann schmeißt er das Tablett gegen die Wand und stürmt aus dem Raum.
    *
    Es hat nicht funktioniert. Der Gedanke hämmert in seinem Kopf. Irgendwo muss ein Fehler sein. Er muss den Fehler finden. Jetzt muss er warten, geduldig sein, bis sich alles beruhigt hat. Das Mädchen, es muss an dem Mädchen gelegen haben, ja, er hat es nicht gut genug ausgesucht. Alles sprach für sie, doch sie war nicht die Richtige, er hat sich geirrt, sich von ihrem Lächeln täuschen lassen, wie ein Engel hat sie gelächelt. Das darf ihm nicht wieder passieren. Sie hatte keine Liebe in sich, das weiß er jetzt, sie hat ihn betrogen, er merkt, wie Wut in ihm aufsteigt. Er würde ihr gerne wehtun, aber er hat den schwarzen Plastiksack mit ihrem Körper schon in den Kofferraum seines Wagens gelegt. Vor seinem Dienst morgen wird er sie entsorgen.
    *
    Er schließt das hintere Gartentor, geht die wenigen Schritte über einen Trampelpfad hinter den Siedlungshäusern, dann steht er schon auf dem Vorplatz der Gesamtschule. Die Kinder, denen er begegnet, grüßen ihn höflich. An der Straße halten ständig Autos, Eltern, die ihre Kleinen zum Unterricht abliefern, alle sind vorsichtig zurzeit, auch jetzt noch, Wochen nach dem Verschwinden des letzten Mädchens. Sie nicken ihm freundlich zu, sind froh, dass er da ist, allein die Uniform beruhigt sie bereits.
    „Die Polizei passt auf. Fahren Sie ruhig wieder. Hier ist Ihr Kind sicher“, sagt er den Eltern. Niemand lacht ihn aus. Sein Hemd ist hochgeschlossen, die Handgelenke bedeckt.
    *
    Während der großen Pause setzt er sich auf eine Bank am Rand des Schulhofes. Der Platz ist betoniert, die kleinen Mädchen spielen Gummi-Twist und springen über Kästchen, die sie mit Kreide auf den Boden gemalt haben. Er sitzt im Schatten auf der Bank und wird eins mit der Umgebung. Ein Polizist. Sonst nichts. Die Mädchen spielen unbekümmert.
    Dann sieht er sie. Die Kinder wechseln sich mit dem Springen ab. Sie kommt nicht an die Reihe, steht nur bei ihnen und feuert sie an. Ein Mädchen hat das Spiel gewonnen. Alle umarmen sich. Auch sie reißt die Arme hoch und tanzt mit den Freundinnen, etwas steifer als die Anderen, nicht so hoch, nur auf der Stelle. Die Schiene an ihrem linken Bein blitzt in der Sonne. Sie hat einen Makel. Das ist es, was er sucht. Er steht von der Bank auf, schlendert langsam auf die Kindergruppe zu, bleibt in Hörweite stehen, bückt sich und bindet seinen Schuh. Die Mädchen kreischen und johlen, er versteht kaum etwas, aber er hört ihren Namen: Sarah. Er findet, das klingt sehr vielversprechend.
    Ein Gong ertönt. Die Mädchen gehen Hand in Hand in das Gebäude. Sarah ist mitten unter ihnen. Sie lacht.
    Er folgt den Mädchen in einigem
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