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Aller Anfang ist Mord

Titel: Aller Anfang ist Mord
Autoren: Jutta Maria Herrmann
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Abstand, geht zwischen den anderen Kindern durch die Flure, bis die Gruppe um Sarah in einen Raum abbiegt. Klasse 3c liest er an der Tür. Darunter klebt ein Stundenplan. Das ist praktisch. Deutsch und Religion, dann hat sie Schulschluss. Das sind 90 Minuten, dazwischen eine kurze Pause. Er schaut auf die Uhr. Um zwölf müsste sie das Gebäude verlassen.
    *
    Sarah hat es eilig, zum Schulparkplatz zu kommen. Er ist erstaunt, wie wenig sie die Schiene beim Gehen behindert. Ist der Makel vielleicht nicht groß genug, nicht mit seinem vergleichbar? Er hat wenig medizinische Kenntnisse, aber er findet, es sieht nach einer schweren Schädigung aus, das ist kein kleiner Beinbruch oder eine Verstauchung, eine Kleinigkeit, die nach wenigen Wochen wieder verschwindet, und dann ist sie wieder ein gesundes Kind. Nein, das ist ein echter Makel, man kann eine lockere Hose darüber ziehen, ein langes Kleid, aber der Makel wird bleiben, und sie zeigt ihn ganz offen. Sie ist die Richtige! Diesmal wird es funktionieren.
    Er sieht, wie Sarah auf einen roten Kleinwagen zusteuert. Eine junge Frau steigt aus. Sie wirkt wie eine erwachsene Ausgabe des Mädchens, brünette Haare, offen, ein geblümtes Sommerkleid. Sie breitet die Arme aus, umarmt Sarah, hebt sie hoch und dreht sie eine Runde durch die Luft. Er hört ihr beider Lachen. Und er spürt die Liebe. Eine Mutter, die ihr Kind liebt, trotz ihres Makels. Er denkt an seine eigene Kindheit. Mutter hat sich geschämt, wegen seiner Haut. Die Nachbarn haben gesagt, das ist die Strafe, weil sie das Kind bekommen hat, ohne Ehemann, das ist die Strafe Gottes. Er musste lange Sachen tragen, auch im Strandbad am See, er hat geschwitzt, es hat gejuckt, er hat sich durch die Kleidung gekratzt, immer wieder, bis das Blut durch den Stoff kroch. Seine Mutter hat ihn in den Schatten gesetzt, ist im Bikini am See stolziert und hat sich bewundernde Pfiffe bei den Männern abgeholt. Ihm ist so warm geworden, er wollte nur die Füße ins Wasser halten, in der kleinen Bucht, wo es ganz flach ist. Das Wasser war herrlich, kühl und frisch, er ist weitergegangen, seine Hosenbeine haben sich vollgesogen. Es war ihm egal. Die Hose wurde schwer, rutschte von seinen Hüften. Dann schrie hinter ihm ein kleiner Junge. Er drehte sich um. Das Kind schrie, zeigte auf seine nackten, schuppigen Beine, er sah das Entsetzen in den Augen des Jungen. Sei ruhig, hat er gesagt, aber der Junge hat weiter geschrien. Dann hat er den Kopf des Jungen unter das Wasser gedrückt, das war ganz einfach. Der Junge hat kurz gezittert, dann schwamm er ruhig an der Oberfläche. Wir haben nur gespielt, hat er später erzählt. Der Junge hatte schweres Asthma, er hätte nie ins Wasser gedurft, das war ein tragischer Unfall, haben die Erwachsenen gesagt.
    Mutter hat es nicht geglaubt. Du hast ihn umgebracht, hat sie gesagt. Du Missgeburt hast ihn umgebracht. Ich weiß es, denn du bist meine Strafe. Ich ekle mich vor dir, so ein Kind wollte ich nicht. Ich wollte ein kleines Mädchen mit einer schönen, weichen Haut.
    Dann hat sich Mutter zwei Tage in ihr Schlafzimmer eingeschlossen. Er hat sie weinen gehört. Er hat vor der Tür gestanden, und sie hat geweint. Er hat begriffen, dass er mehr Liebe braucht. Wenn er genug Liebe für seine Mutter hat, dann wird sie ihn auch lieben.
    Das kleine, rote Auto mit Sarah und ihrer Mutter fährt vom Schulparkplatz. Morgen hat Sarah nur vier Stunden. Das ist perfekt. Er wird da sein.
    *
    „Hallo, Sarah“, sagt er.
    „Hallo“, sagt Sarah. „Ich kenne dich, du bist ein Polizist.“ Er hat das Mädchen noch vor dem Ausgang der Schule abgepasst. „Deine Mutter hatte einen Unfall, nichts Schlimmes, aber sie kann nicht Autofahren. Sie hat mich gebeten, dass ich dich von der Schule abhole.“
    „Ist sie im Krankenhaus?“
    „Nein, sie ist zu Hause. Ich fahre dich hin, wir müssen nur kurz zu meinem Haus, um das Auto zu holen.“
    *
    Sie hat sich schon am Morgen gewundert. Er war gut gelaunt, hat sogar das Radio eingeschaltet, dann ist er in Uniform losgegangen, obwohl heute sein freier Tag ist. Das kann nur bedeuten, dass er es wieder tun wird, heute tun wird. Sie kann es nicht zulassen, dass er noch ein Kind ... Wenn er kommt … Sie muss es zu Ende bringen. Ihren Plan umsetzen. Damals war dieser Bericht im Fernsehen gelaufen. Sie haben es genau erklärt. Sie hat nicht verstanden, warum sie es im Fernsehen zeigen, aber sie hat den Vorgang verstanden, die Reihenfolge ist wichtig, alle Schritte
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