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Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Brenner
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verließ und nie jemanden grüßte. Aber Marie wusste, dass sie sich auf Edgar verlassen konnte. Sie brauchte keine Neubrandenburger Heldenwitwen.
    Zudem hatte Marie – sicher als Einzige unter den meist sehr jungen Frauen – verstanden, was es mit dem FBZ wirklich auf sich hatte. Es handelte sich um eine Einrichtung der Bundeswehr. Natürlich ging es darum, den Soldaten im Einsatz das Gefühl zu geben, dass sich jemand um ihre Angehörigen kümmerte. Aber der Bundeswehr lag auch daran, die Frauen ihrer Soldaten in den Griff zu bekommen. So saßen zwischen den kaffeeklatschenden Gattinnen und Müttern immer auch Offiziere – meist Frauen und in Zivil – die Augen und Ohren offen hielten. Es gab nicht nur Süßigkeiten für die Kinder und gute Ratschläge für die Damen. Mehrmals war um Ruhe gebeten worden und dann war ein speziell dafür ausgebildeter Sicherheitsoffizier an ein Mikrofon getreten und hatte unvermittelt angefangen, die Familienmitglieder auf den Ernstfall vorzubereiten.
    So erfuhren die entsetzten Frauen, dass Anschläge von Islamisten zu befürchten seien, die sich speziell gegen Einrichtungen der Bundeswehr und möglicherweise gegen die Angehörigen von Soldaten richteten, die in Afghanistan oder vor Somalia ihren Dienst taten.
    Da war es plötzlich ganz still geworden. Eine Frau hatte ihr Kind genommen und war schnell mit dem Kleinen hinausgegangen. Das hatte Marie gut verstanden.
    Den Sicherheitsoffizier hatte das nicht gestört. Er spulte sein Programm ab.
    Die Frauen sollten unbedingt auf Warnsignale in ihrer Umgebung achten. Er wolle sie nicht zur Hysterie verleiten, erklärte der Mann ruhig. Aber wenn etwas Verdächtiges bemerkt würde, sei es wichtig, das zu melden. Die Fachleute würden dann entscheiden, ob es ernst war oder nicht. Wenn es nicht ernst war, so sei es allemal besser, trotzdem angerufen zu haben.
    Marie kostete es Überwindung, die Neubrandenburger Nummer zu wählen. Sie fühlte sich überhaupt nicht wohl in der Rolle des ängstlichen Frauchens. Aber war der rote Golf nicht mehr als verdächtig? Ein fremder Wagen, der die ganze Nacht vorm Haus stand. In dieser verlassenen Gegend. Eigentlich hätte sie heute Morgen schon anrufen müssen, als Felix zur Schule gefahren war.
    Sie hatte schon die Vorwahl gewählt – da legte sie noch mal auf. Sie biss sich auf die Unterlippe. Dann ging sie zurück in die Küche. Sie wollte noch mal versuchen, ein paar Seiten zu lesen. Wenn gegen Mittag – da legte sie immer eine Pause ein und aß ein Stück Brot oder einen Teller Suppe – der Golf immer noch an der Straße stand, dann würde sie in Neubrandenburg anrufen.
    Sie beugte sich erneut über das langweilige Manuskript – der Direktor einer Milchpulverfabrik schrumpft und wird wieder zum Kind. Aber die Verlage liebten so etwas. Marie gähnte. Ihr Blick wanderte in die Ecke des Küchenfensters. Der rote Kotflügel war weg.
    Sie sprang auf und lief ins Wohnzimmer, von wo aus sie die Straße besser überblicken konnte.
    Der Golf war wirklich verschwunden.
    Marie atmete auf. Alles war also falscher Alarm gewesen. Gut, dass sie nicht in Neubrandenburg angerufen hatte. Vielleicht war sie in letzter Zeit etwas reizbar. Es gab ja bald Ferien. Dann würde sie mit Felix ein paar Tage zu ihren Eltern nach Frankfurt fahren. Das tat ihnen sicher gut.
    Marie ging an ihre Arbeit zurück. Sie begann wieder zu lesen. Seltsam, aber jetzt fand sie die Geschichte vom kleinen Direktor gar nicht mehr so fad.
     
    Um kurz vor zwölf bekam sie Hunger. Marie holte den Topf mit der Tomatensuppe, den sie vor zwei Tagen gekocht hatte, aus dem Kühlschrank und stellte ihn auf den Herd. Als sie die Herdplatte auf eins stellte, läutete es an der Haustür.
    Um diese Zeit konnte das nur die Post sein oder Frau Hinrichsen, die alte Nachbarin, die manchmal Früchte aus ihrem Garten vorbeibrachte. Hoffentlich hielt die Hinrichsen sie nicht zu lange auf; sie schwatzte gerne, und Marie konnte sie nicht wegschicken, weil sie auf den Jungen aufpasste, wenn Marie wegmusste und ihn nicht mitnehmen konnte.
    Marie sah durch die Milchglasscheibe der Eingangstür, dass es nicht die dickliche Alte in ihrer weißen Schürze und der blauen Ostseetracht war, sondern ein großer, schlanker Mann in einer schwarzen Jacke. Vielleicht doch die Post – obwohl es schon sehr spät war.
    Marie wartete nicht mehr auf Post von Karl. Das war in den ersten Monaten so gewesen. Dann hatte es langsam aufgehört. Lag es an den Briefen, deren Ton
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