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Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Brenner
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der Afghanistan-Karte zu sehen. Sie hielt die flache Hand an ihr rechtes Ohr und horchte auf das, was ihr über Kopfhörer verkündet wurde.
    Ab und zu warf sie einen erschrockenen Blick in die Kamera.
    Sie traute sich erst nicht. Dann sagte sie mit belegter Stimme: »Es hat wohl eine Detonation gegeben. Wie wir hören, ist von einem Raketeneinschlag die Rede.«
    Marie stürzte zum Fernseher und schaltete ab.
    Sie brauchte Ruhe, um zu verstehen, was vor sich ging.
    Aber sie hatte eine Ahnung. Eine vage, tiefschwarze Ahnung.
    Felix! Sie musste zu dem Jungen. Das war jetzt das Wichtigste. Sie stürzte die Treppe hoch.
    Felix saß in seinem Zimmer auf dem Boden. Seelenruhig. Er hatte nichts mitbekommen. Vor sich die Schatzkiste. Er hatte sie geöffnet. Das Zeitungspapier lag in Ballen im Zimmer herum. Die Schatzkiste war leer. Den Schatz hielt Felix in den Händen.
    Es war ein Handy.
    Er tippte schon wieder die Nummer ein, die er sich auf einem Papierfetzen notiert hatte. Dann erst bemerkte er seine Mutter. Er schaute auf. »Das Gespräch war einfach weg …«
    »Woher hast du das Handy?«
    »Von meinem eigenen Geld gekauft.«
    »Woher?«, schrie sie ihn an.
    Felix schluchzte. »Von Pia. Sie hat es mir in Koserow geschenkt.«
     
    Marie brachte Felix ins Bett.
    Da läutete das Telefon. Sie hatte vergessen, es abzustellen. Es war Ernesto Breuninger.
    Er schnaufte, als wäre er gerade alle Treppen des Bendlerblocks abgelaufen.
    »Es tut mir leid, Frau Blau. Wie wir soeben erfahren haben, ist Karl Blau heute bei einem Angriff der US-Luftwaffe auf eine Talibanstellung ums Leben gekommen. Ich möchte Ihnen hiermit mein Beileid …« Weiter kam er nicht. Marie legte auf und stellte das Telefon ab.
    Anschließend ging sie nach oben und holte die Pistole, die Karl ihr zurückgelassen hatte.
    In der Küche lud und entsicherte sie die Waffe.
    Dann erst ging sie ins Kinderzimmer. Sie deckte Felix noch mal zu. Er schlief schon tief. Der Junge ahnte nichts vom Tod seines Vaters. Marie schloss die Tür hinter sich.
     
    Marie saß im Wohnzimmer und wartete.
    Sie hatte alle Lichter gelöscht. So konnte sie den Himmel über dem Meer besser sehen. Wolkenberge hatten sich aufgetürmt. An einer Stelle glühten sie. Wahrscheinlich kam von irgendwoher Licht. Der Himmel sah aus wie auf einem mittelalterlichen Weltuntergangsgemälde.
    Marie wollte nicht an Karl denken. Sie wollte an gar nichts denken. Sie schaute dahin, wo das graue Wolkengewölle am Nachthimmel rot aufglühte, und stellte sich vor, dass sie durch dieses magische Loch angezogen wurde. Unaufhörlich angezogen. In die Unendlichkeit gezogen. Ins Nichts.
    Marie versuchte, alles hinter sich zu lassen. Es gelang ihr. Sie war fast schon irgendwo im galaktischen Nebel verschwunden und wartete nur noch darauf, dass sich das, was von ihr übrig war, mit dem Rest des Universums verband.
    Mit Felix. Mit Karl. Mit Kundus. Mit der Burg Liechtenstein. Sogar mit den Taliban. Mit den Bomben und den zerfetzten Toten. Es war ein bitteres Gefühl. Aber es war nichts, wovor Marie sich fürchtete.
    Irgendwann klopft jemand leise an die Terrassentür.
    Immerhin – er gab sich Mühe, Felix nicht zu wecken.
    Marie erhob sich wie nach einem tiefen Schlaf. Sie ging zur Tür und öffnete.
    »Ich wollte dir sagen, dass …«
    Pia umarmte Marie. Marie ließ sich das gefallen. Sie ließ es sich lange gefallen. In dem Zustand, in dem sie sich befand, gab es nichts mehr, was sie störte.
    Dann ließ Pia sie los.
    »Es tut mir so leid.« Sie weinte. »Jetzt hat Felix nur noch dich.«
    Marie nickte. Dann sagte sie: »Lass uns zum Meer gehen! Warte, ich ziehe mir nur was über …«
    Pia wartete auf der Terrasse. Marie zog ihre Weste über – und steckte die Pistole, die die ganze Zeit unter einem Couchkissen gelegen hatte, in den Bund ihrer Hose.
    Die beiden Frauen gingen zusammen durch die Dünen.
    Sie gingen hinunter zum Meer. Pia hielt Maries Hand.
    Marie war ganz ruhig. Pia weinte immer noch leise.
    »Das Handy«, sagte Marie. »Hat Felix das von dir?«
    Pia nickte. »Ich wollte ihm eine Freude machen.«
    Sie blieben stehen. Pia ließ Maries Hand los. Sie zündete sich eine Zigarette an und rauchte.
    Die beiden Frauen schauten hinaus aufs Meer. Es war trotz der Dunkelheit schäumend weiß. Als würde eine Quelle aus der Tiefe es speisen.
    »Wer bist du?«, fragte Marie.
    Doch Pia rauchte schweigend weiter – als hätte sie die Frage gar nicht gehört.
    »Nur du hast gewusst, wo ich mich mit Gunter
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