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Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Brenner
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von Koserow. Mal ganz abgesehen davon, dass Katharina Hinrichsen über achtzig war und keinen Besuch bekam, jedenfalls keinen von auswärts.
    Marie bemerkte, dass jemand im Auto saß. Auf der Fahrerseite war die Silhouette eines Mannes erkennbar. Er saß regungslos da. Wo schaute er hin?
    Marie wich vom Fenster zurück. Sie wollte nicht gesehen werden. Die neugierige Dorfpomeranze hinter der Küchengardine – das war etwas, was sie nicht sein wollte. Sie hatte Jahre gebraucht, um sich an die unverhohlene Neugier der Einheimischen zu gewöhnen. Am Anfang war es so schlimm gewesen, dass sie wieder wegwollte.
    Karl hatte die Idee gehabt, das Häuschen auf Usedom zu kaufen. Eigentlich hatten sie sich das gar nicht leisten können. Aber Karl kam aus dieser Region und Verwandte hatten geholfen, ein günstiges Haus zu finden. Ein Fremder hätte niemals diese Gelegenheit bekommen, hatte Karl immer wieder gesagt. Er wollte, dass sein Sohn am Meer aufwuchs. So wie er am Meer aufgewachsen war. Deshalb hatte er auch keinen Fingerbreit nachgegeben, als Marie darauf gedrängt hatte, wieder wegzuziehen. Am liebsten nach Berlin. Oder wenigstens nach Rostock. Das war immerhin eine Stadt, wenn auch keine große. Kein Kaff, in dem sich die Menschen gegenseitig belauerten.
    Sie hatte sich daran gewöhnt. Felix hatte ihr dabei geholfen. Der Junge hatte immer sofort Freunde gefunden, ob im Kinderhort oder in der Schule, und er hatte von seinem Vater die Liebe zum Meer geerbt. Da hatte Marie sich abgefunden. Es war ja auch nicht so schwer gewesen. Sie lebten hier wie die Könige. Das Schilfgras wuchs über die Klinkerumfassung der Terrasse. Sie konnten ohne Schuhe vom Wohnzimmer in die Dünen laufen. Manchmal war sie mit Karl abends, wenn das Kind fest schlief, noch einmal zum Strand gegangen. Sie hatten ihre Sachen ausgezogen und sich von der eiskalten Ostsee treiben lassen. Wie Strandgut.
    Felix schrie auf. Das geschah immer öfter.
    Marie rührte sich nicht. Meistens schlief er sofort wieder ein.
    Doch diesmal begann er zu winseln wie ein kleiner Hund. Weil er immer öfter aufwachte, stand die Tür zu seinem Zimmer offen. Marie schlüpfte aus den Latschen und lief barfuß über den noch von der Sonne warmen Holzboden ins Kinderzimmer.
    Der Junge saß aufrecht im Bett. Bleich und verheult. »Wann kommt Papa wieder?«
    »Bald.«
    Bald, das hieß frühestens in drei Monaten. An Weihnachten. Wie sollte man das einem kleinen Jungen klarmachen, der fast umkam vor Sehnsucht?
    »Wie oft noch schlafen?«
    Solche Fragen hasste Marie, seit Karl weg war.
    Sie setzte sich zu ihm aufs Bett und drückte seinen Kopf gegen ihr Herz. Das beruhigte ein Kind immer. Schon als Baby hatte Felix auf ihren Herzschlag reagiert.
    »Wie oft?«
    »Noch ein paar Wochen.«
    »Wie viele Tage?«
    Merkte das Kind nicht, wie es die Mutter mit der Fragerei quälte? »Bis das Christkind kommt.«
    »So lange?« Felix fing wieder an zu schluchzen. Jetzt tat er ihr leid. Sie drückte ihn fester an sich. »Das ist gar nicht mehr lange. Du wirst sehen. Es geht ganz schnell. Plötzlich steht er vor der Tür.«
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    Felix dachte nach. Er schien sich zu beruhigen. »Hat er einen Schlüssel mitgenommen in den Krieg?«
    Marie hatte keine Lust mehr, immer wieder zu erklären, dass ihr Mann nicht im Krieg war, sondern in einem friedenstiftenden Einsatz. Selbst der Kleine konnte im Fernsehen sehen, dass es Krieg war.
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Wenn er keinen Schlüssel mitgenommen hat nach … Af… ghan…istan …« Ein schweres Wort, aber Felix hatte es inzwischen lernen müssen. »… dann kommt er nicht rein, wenn wir nicht da sind.«
    »Er ruft vorher an. Dann werden wir auch da sein.«
    Der Junge streckte sich und gähnte. »Liest du mir noch was vor?«
    Es war schon halb neun. Das Kind musste schlafen. »Ich habe dir doch schon vorgelesen.«
    »Nicht das. Lies mir den Brief von Papa vor!«
    Das machte alles nur noch schlimmer. Aber Marie fiel kein vernünftiges Argument dagegen ein. Sie zog den Brief aus der Schublade neben dem Kinderbett, faltete ihn auf und begann zu lesen.
    »Seit zwei Tagen können keine Flugzeuge mehr landen. Lastwagen kommen natürlich erst recht nicht durch den Matsch. Aber macht euch keine Sorgen, wir haben genug zu essen! Gestern gab es Ravioli aus der Dose. Und heute soll sogar gegrillt werden. Dass es momentan still geworden ist, ist gar nicht schlecht, denn es ist jetzt so ruhig hier wie in Koserow im Winter. Aber es
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