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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer
Autoren: Else Buschheuer
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ERSTES KAPITEL
    »Ich weiß nicht, ob das ’ne gute Idee ist.« Rhett hockt hinterm Lenkrad, als fürchte er, sich den Kopf zu stoßen. »Zumal es gleich regnet.«
    »Guck nach links«, mahnt Sonnie, die kalte Nase an der warmen Scheibe. »Es ist eine wunderbare Idee, und nachher setzen wir uns zu Hause aufs Parkett und saufen uns ins Koma.«
    Ihre Blicke treffen sich wie eilige Passanten.
    »Werden wir nackt sein?«, fragt Rhett.
    Sonnie sieht Mia Farrow und John Cassavetes auf dem Parkett in einer leeren Wohnung. Sie sieht Maria Schneider und Marlon Brando auf dem Parkett in einer leeren Wohnung. Alle nackt.
    »Nicht ausgeschlossen«, sagt sie.
    Rhett spürt ein Kribbeln in der Eichel.
    »Stopp!«, ruft Sonnie.
    Auf ihrer Straßenseite ist ein halber Hausstand aufgetürmt. Zwei Chinesen wühlen drin. Als sie das Auto sehen, wackeln sie wie Pinguine in den Rachen der Nacht. Zehn Meter weiter stoppt Rhett den Lincoln.
    »Mein Gott, ich dachte, ich hab jemanden überfahren!«
    »Ganz frisch«, sagt Sonnie. »Das Sofa ist noch gar nicht nass.«
    Sie springt aus dem Auto. Rhett fährt weiter. Ein Fluchtinstinkt. Er fürchtet Sonnies wilden Aktionismus.Er hat einen Heidenrespekt vor ihrer Impulsivität. Am Straßenrand im Regen Möbel zu suchen, das entzieht sich seiner Vernunft und seinem Ordnungssinn. Sonnies Verhalten ist oft befremdend. Gleichzeitig bestätigt es seinen Wunsch, sich selbst zu komplettieren. Er hat Sonnie, weil er sich Sonnie nicht ausdenken kann. Seine Fantasie reicht nicht aus, um sich Sonnie auszudenken. Ihr heller Kopf, ihr schöner Arsch.
    »Jetzt bleib doch hier! Pack mit an«, ruft Sonnie dem Lincoln nach. Aber der biegt schon um die Ecke. Sie dreht sich um. Kopfschüttelnd. Rhett sucht einen Parkplatz. Es regnet gleich. Sie braucht ihn jetzt. Und er sucht einen Parkplatz. In Paris waren sie eine Woche lang überallhin zu Fuß gegangen, weil Rhett sich nicht entschließen konnte, den Parkplatz gleich vorm Hotel aufzugeben.
    Sonnie läuft zurück. Sie schwitzt in ihrer Herbstjacke. Für einen Moment beschleicht sie das Gefühl, Rhett zu diesem Schritt gezwungen zu haben. Sie hat ihn umgarnt, sie hat ihn manipuliert, sie hat ihn mit der Spitzhacke aus seiner Beziehung gehauen. Ein Blitz wirft einen Fetzen Tag auf den Müllberg.
    When you see the lightning, you count til you hear the thunder.
    Sonnie zählt einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Der Donner kommt auf vierundzwanzig. Er verzehnfacht Volumen und Anzahl der Tropfen. Sie sind enttäuschend warm. Sie platzen auf Sonnies Stirn. Schränke, Regale, Koffer, Reisetaschen, Kartons und Mülltüten. Alles nass.
    Das Sofa auch. Wie ein großer Schwamm. Keine Spur von Rhett. Sonnie bückt sich nach einem Koffer, ein »Lady Baltimore«, rot, dreißiger Jahre, von rauem Kakerlakendreck überzogen. Die Schlösser geben nicht nach. Sonnie umfasst den nassen Bakelithenkel. Sie hebt den Koffer an. Er ist schwer.
    Da kommt Rhett angefahren. Er hupt.
    »Kein Parkplatz«, ruft er.
    »Ist okay. Lass uns Schluss machen für heute.«
    Er öffnet von innen die Wagentür. »Schatz gefunden?«
    »Yep!«
    Sonnie wuchtet den »Lady Baltimore« auf die Rückbank. Rhett lächelt.
    »Du bist ja ganz nass«, sagt er.
    Sonnie fährt mit den Fingern durch sein langes Haar und bleibt hängen.
    »Du bist ja ganz trocken.«
    Es ist seine Alltagsuntüchtigkeit, die sie immer angerührt hat.
    Sie sieht verführerisch aus, so nass, denkt Rhett. Sie ist schön. Sie ist stark. Sie hat ihren eigenen Kopf. Sie ist eine von den Frauen, bei denen man nie weiß.
    Zu Hause.
    Sonnie schließt die Tür auf.
    Rhett umarmt Sonnie.
    Rhett ist viel größer als Sonnie.
    Rhetts Erektion sticht in ihren Nabel wie ein Dorn. Jede Umarmung verliert die Unschuld durch den Nabeldorn. Außerhalb von Erektionen sieht Rhett wenig Anlasszu Umarmungen. Außerhalb von Umarmungen sieht er jedoch stets Anlass zu Erektionen.
    Fünf Tage später kommt Rhett aufgebracht nach Hause. Ihr Zuhause ist Teil einer Fabriketage, in welcher abgerissene Künstler ein schattenhaftes Dasein führen. Rhett hat den Tonfall gekränkter Rechtschaffenheit. Das ist neu. Aus dem Liebhaber schält sich ein Ehemann heraus. Über alles breitet Rhett ein Planquadrat von Ordnung und Vernunft. Kakerlaken. In seinem Lincoln. Das ginge ja wohl zu weit.
    »Und alles nur wegen deines Hangs zum Unrat.«
    Der Koffer! Sonnie erinnert sich jäh. »Wo ist er?«
    »Auf dem Müll«, sagt Rhett und wäscht sich die Hände. Rhett
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