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Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Brenner
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Haus ausgesucht, um sich umzubringen. Menschen, die das vorhatten, taten es gerne am Meer. Sie sehnten sich zurück in die Ozeane, dahin, wo sie vor Jahrmillionen hergekommen waren.
    Marie stockte. Gut, dass der Junge weg war. Vor eins kam er nicht nach Hause.
    Marie bückte sich etwas, um besser in den Innenraum blicken zu können.
    Die Scheiben waren angelaufen. Man sah gar nichts.
    Wenn die Scheiben angelaufen waren, atmete der Mann noch, der am Steuer saß.
    Das beruhigte Marie ein wenig. Sie fürchtete sich nicht vor dem Anblick eines Toten. Sie wollte nur nicht den ganzen Morgen herumtelefonieren und sich mit der Polizei, der Feuerwehr und mit wem sonst noch alles auseinandersetzen müssen. Das zog so ein Selbstmord doch nach sich.
    Sie machte kehrt. Nun wollte sie so schnell wie möglich wieder ins Haus. Es wäre ihr peinlich gewesen, wenn der Mann sie so gesehen hätte: im Morgenmantel, sich langsam seinem Golf nähernd. Das neugierige Dorfweib.
    Marie lief jetzt, soweit ihr die Latschen das erlaubten.
    Sie atmete erst auf, als sie die Haustür hinter sich zuschlug.
    Marie hielt inne. Eigentlich benahm sie sich unmöglich. Sicher war der Mann da draußen in dem Golf einfach nur ein bedauernswerter Urlauber, der keine Unterkunft mehr gefunden hatte. Das war auf der Insel keine Seltenheit.

2.
     
    Marie kochte Kaffee und setzte sich mit dem Manuskript, das sie gerade las, an den Küchentisch. Sie begann zu arbeiten.
    Meistens gelang es ihr sofort, sich in die Welt des Textes zu begeben, den sie gerade zu beurteilen hatte. Auch wenn es nur Kinderbücher waren, es erforderte schon eine besondere Einfühlung, beurteilen zu können, ob Kinder im Alter ihres Sohnes mit einer Geschichte etwas anfangen konnten oder ob sie überfordert waren. Oft waren sie auch unterfordert. Aber die Leute im Verlag fanden, dass ausgerechnet die Bücher, die sie für unterfordernd hielt, sich gut verkauften. Damit hatten sie recht. Das lag wohl daran, dass, wie ihr eine erfahrene Lektorin einmal gesagt hatte, die Eltern die Bücher für ihre Kinder kauften. Die beurteilten die Fähigkeiten ihrer Kinder fast immer falsch.
    Marie konnte sich nicht konzentrieren. Sie schaute immer wieder von der Kindergeschichte auf. In der rechten unteren Ecke des Küchenfensters sah sie den roten Kotflügel des Golfs. Er stand immer noch da. Es war schon nach zehn.
    Ob der Mann ihr Haus beobachtete?
    Marie stand auf und ging zum Telefon. In der Schublade des kleinen Schränkchens im Flur lag ihr Telefonbuch. Es enthielt nicht viele Nummern. Seit sie in Koserow wohnten, hatte Marie viele Kontakte einschlafen lassen. Einige der Nummern hatte Karl ein paar Tage vor seiner Abreise eingetragen – mit seiner geraden, ernsten Schrift, der man keine Gemütsbewegung ansah. Maries Nummern waren dagegen krakelig und launisch, wie von einem Teenager.
    Die Nummer des Familienbetreuungszentrums der Bundeswehr in Neubrandenburg hatte er rot unterstrichen. Karl hatte Marie dort gegen ihren Willen angemeldet.
    Sie waren zu einem der Nachmittagstreffen hingefahren. Weil sich dort die Familien der Kameraden Karls trafen. Marie wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass ihr das nicht wichtig war. Aber sie hatte sich auf dem Kaffeeklatsch nicht wohlgefühlt. Alle waren so aufgekratzt – und dann lag da etwas in der Luft, was Marie hasste: Sie nannte es den Kriegerwitwen-Komplex. Die Frauen taten alle so, als müssten sie übermenschliche Kräfte aufbringen, um nicht in Tränen auszubrechen. Dabei ging es auf dem Familientreffen zu wie auf einem Kirchenbasar. Die Frauen der Soldaten fühlten sich als die eigentlichen Heldinnen von Kundus. Marie hatte sich damals fest vorgenommen, niemals dazuzugehören.
    Karl hatte sie nicht verstanden. Für ihn war das Neubrandenburger FBZ eine Ersatzfamilie. »Ich brauche in Afghanistan die Gewissheit, dass sich jemand um euch kümmert«, hatte er gesagt. »Wenn mal was mit dem Abfluss nicht in Ordnung ist, kommen die. Wenn du keine Betreuung für Felix hast, werden die jemanden organisieren. Wenn etwas passiert ist, ein Bombenanschlag oder so etwas, werden die mit dir reden und dich beruhigen.«
    Aber Marie wollte nicht beruhigt werden. Jedenfalls nicht von den vor Heldenmut strahlenden Neubrandenburger Soldatenfrauen. Und ihren Abfluss konnte sie zur Not selbst reparieren. Falls sie mal etwas nicht selbst konnte, gab es Edgar, den einzigen Freund Karls in Koserow, ein Einzelgänger und Tüftler, der seine Hütte in den Dünen selten
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