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Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Brenner
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kommen auch keine neuen Kameraden mehr. Ihr müsst euch das hier vorstellen wie in der Bibel. Überall stehen Lehmhütten. Zu denen passen die Flugzeuge auch gar nicht. Zu den Menschen hier erst recht nicht. Das sind meist lange, dürre Gestalten in löchrigen Stiefeln oder gar barfuß. Wie Einsiedler sehen sie aus. Stellt euch vor, in ganz Kundus gibt es keine Möglichkeit, etwas zu drucken. Deshalb erscheint unsere Zeitung auch nicht. Aber das ist weniger schlimm. Sie ist todlangweilig. Dagegen ist die Ostseezeitung noch spannend.«
    Der Junge lachte. Er versank in seinem weiß-blauen Hansa-Rostock-Kissen und hatte die Augen geschlossen.
    Der Brief war an sie beide gerichtet. Es gab auch andere Briefe, die trugen nur Maries Namen als Adresse. In diesen Briefen berichtete Karl von Kameraden, die kein Wort mehr sprachen. Ihre Freundinnen hatten sie verlassen und den Wohnungsschlüssel nach Kundus geschickt. Einfach so. Marie schnürte so etwas den Hals zu. Nicht aus Mitleid mit Karls Kameraden. Aus Angst. Karl war sonst nicht so. So aufdringlich. Ja, aufdringlich. Er schrieb so etwas nur, damit sie verstand, dass man das nicht tat. Als Frau eines Soldaten. Das war es, was ihr Angst machte.
    »In einem Bundeswehrcamp fliegen einem wirklich gebratene Tauben ins Maul. Um nichts muss man sich kümmern. Ich weiß gar nicht, wie ich das schaffen soll, wenn ich wieder zu Hause bin. Dann muss ich morgens Brötchen holen und selbst grillen oder sogar Geschirr abwaschen. Da ist Afghanistan viel bequemer für einen Kerl wie mich.«
    Felix war eingeschlafen. Der Junge atmete jetzt ganz ruhig. Marie wagte es sogar, die Tür zu schließen. Er würde sicher durchschlafen.
     
    Felix hatte am nächsten Morgen Schwierigkeiten, aus dem Bett zu kommen. Marie musste ihn antreiben, damit er nicht zu spät in die Schule kam. Sie setzte ihm seine Mütze auf, hängte ihm den Ranzen um und ging mit ihm – im Nachthemd – zum Schuppen, wo sein Fahrrad stand. Marie schloss die Tür auf und Felix stieg aufs Rad. Jetzt wirkte er schon wie ein großer Junge. Er mochte es nicht so gerne, wenn sie ihn draußen zum Abschied küsste. Das war Marie aber egal. Er war immer noch ihr Kleiner, und sie küsste ihn, wann sie wollte. In ihren vier Wänden hatte er ja auch nichts dagegen. Sie hielt ihm das schmale Tor auf. Er fuhr unsicher wackelnd hindurch.
    Marie trat hinter ihm auf die Straße. Sie trug den zerschlissenen Morgenmantel über ihrem Nachthemd. Aber das sah hier niemand. Sie winkte hinter dem Jungen her, bis er an der Ecke in Richtung Dorfschule abbog.
    Jetzt hatte sie vier, fünf Stunden für sich. Sie wollte einiges abarbeiten. Die Verlage warteten auf ihre Gutachten. Wenn sie zu lange brauchte, bekam sie keine Aufträge mehr. Und die 500 bis 600 Euro, die im Monat dabei heraussprangen, konnten sie trotz der 90 Euro am Tag, die Karl zu seinem Sold als Auslandseinsatz-Zulage bekam, immer noch gut brauchen. Das Häuschen war zwar schon ziemlich abgewohnt. Aber sie hatten es längst noch nicht abbezahlt.
    Der Wagen stand immer noch da.
    Marie blieb eine Weile mit über der Brust verschränkten Armen auf der Straße stehen. Was hatte das zu bedeuten? Wurde sie beobachtet? Was suchte der Kerl hier? Bei der Kälte, die nachts vom Meer aufs Land zog, übernachtete niemand ohne Not im Auto. Da stimmte was nicht.
    Marie konnte jetzt nicht einfach ins Haus zurückgehen. Das passte nicht zu ihr.
    Sie überquerte die Straße, um einen besseren Blick auf den roten Golf zu bekommen.
    Vielleicht sah der Kerl sie ja auch im Rückspiegel und stieg aus.
    Angst hatte sie keine. Sie war überhaupt kein ängstlicher Mensch. Sie hatte auch nicht gezögert, als Karl von ihr hören wollte, ob sie es sich zutraute, so lange allein mit dem Jungen in dem Haus am Ortsrand zu bleiben. Das konnte sie. Nur so lange ohne Karl sein – das fiel ihr schwer.
    Der Kerl stieg nicht aus.
    Marie ging los. Sie konnte sich das nicht bieten lassen.
    Oben in der Schublade unter Karls Socken lag eine Pistole. Ihr Mann hatte sie für sie besorgt. Ein Tag vor seiner Abreise nach Afghanistan.
    Es machte ihr nichts aus, dass sie im Morgenmantel war und unter dem Nachthemd nicht einmal einen Slip trug. Das hier war ihr Haus. Und wenn jemand die ganze Nacht mit seinem Wagen vor ihrem Haus stand, hatte sie ein Recht darauf zu erfahren, was er im Schilde führte.
    Sie wurde langsamer. Es war schon seltsam, dass sich überhaupt nichts tat. Vielleicht hatte sich jemand den Platz vor ihrem
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