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Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Titel: Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
Autoren: Tillmann Bendikowski
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Textmacher noch nicht bemerkt. Sie wollen auf etwas ganz anderes hinaus, nämlich auf die tollen Chancen ihrer TV -Sender-Pakete (ich muss sofort wieder an Herrn H. und seine Riesenwindel denken). Es gebe nämlich super Angebote, in denen alle Serien und Formate »den elterlichen Anforderungen« entsprechen. Da bin ich gespannt. Zum Beispiel: »Der werbefreie Sender Disney Junior, der sich an Vorschulkinder zwischen 2 und 7 Jahren sowie deren Eltern richtet, verbindet sein tägliches Fernsehprogramm mit einer integrierten Webseite. Dort können sich die jungen Zuschauer über ihre Lieblingsserien informieren, an Gewinnspielen teilnehmen und eigene Video-Playlisten anlegen.« Ich denke, wer Kinder im Vorschulalter vors Fernsehen und dann noch an Webseiten setzen will, hat sich seinen Platz in der Hölle redlich verdient – und ganz sicher treffen die Telekom-Entertainer dort auch die alten Kollegen wieder, die uns einst die Telekom-Volksaktie aufschwatzen wollten (wobei die sich wahrscheinlich rechtzeitig einen Höllen-Platz in Liechtenstein gesichert haben).
    Heiße Anwärter auf die Hölle sind auch die allermeisten Spielzeughersteller. Ich halte einen Katalog in den Händen, in dem die Einkaufsleiterin Nadine C. ihre Leserinnen mit den Worten begrüßt »vorallem [das schreibt sie zusammen] mit Kindern gehören die Wochen vor Weihnachten zur schönsten Zeit im ganzen Jahr«. Vor allem ist ihr Katalog voll mit den schönsten Scheußlichkeiten. Zum Beispiel das Spiel »Kinder-Electric« bei dem »die lieben Kleinen« »hoch konzentriert« mit zwei Steckern versuchen, die zueinander passenden Bilder auf der linken und rechten Seite des Spielbretts zu treffen: »Wenn’s stimmt, dann blinkt’s« – und zwar für Kinder ab vier Jahren! Für die gleiche Altersgruppe gibt es auch noch die tolle »Schweineschwarte«: Eine Schweinchenfigur aus Plastik wird von den Mitspielern reihum mit Plastik-Hamburgern gefüttert, und der Bauch des Schweines wird immer dicker. »Alle fragen sich: Bei welchem Hamburger wird der Gürtel wohl platzen?« Toll auf Reisen! »Mampfen, bis die Schwarte kracht!« Wenn nicht für Nadine C., die wahrscheinlich auch nur Befehlen folgt, aber für die Hersteller selbst dürfte es sicher eng werden am Jüngsten Tag.
    Höchststrafe auch für die Mädchenmode-Macher; dabei hatte ich allerdings nur daran gedacht, wie man dieses komische Rosa endlich wieder aus unserer Kleiderwelt bekommt. Aber noch radikaler formulierte es unlängst Thomas Fischer, immerhin Richter am Bundesgerichtshof. Der erinnerte nämlich daran, wie sehr unsere Gesellschaft schon die Kinder mit sexuellen Reizen überflute, in den meisten Modejournalen finde sich »ein unverhülltes Kokettieren mit der Überwindung kindlicher Träume durch erwachsene Sexualität«. Wer die Journale selbst hochwertiger Kleidungshersteller durchschaut, wird dem Richter Recht geben müssen, darin posieren kleine Mädchen wie alles, nur nicht wie Kinder. Und die Auswahl der Kleidung kommentierte eine befreundete Mutter einmal so: »Wenn ich meine Tochter so anziehe, sieht sie doch aus wie eine minderjährige weißrussische Prostituierte.« Auch darauf steht die Hölle.
    Zu diesem wärmenden Ort streben mit erstaunlicher Zielstrebigkeit auch viele Betreiber von Kinder-Karussells. Dies aber nicht wegen der Gestaltung ihrer kleinen Fahrgeschäfte, sondern wegen der Geräuschkulisse. Dabei meine ich in erster Linie nicht das überlaute Tröten und Jaulen von Feuerwehrsirenen oder irgendwelchen Phantasie-Fanfaren, sondern den hier zu beobachtenden Hang zur Schlagermusik: Aus mir völlig unerfindlichen Gründen plärren an Kinder-Karussells deutsche Schlager aus den 60er, 70er und 80er Jahren. Warum kleine Kinder Roberto Blanco oder Heintje hören oder sich gar an diesen Klängen erfreuen sollen, ist mir schleierhaft. Musikalische Unterwelt.
    Diese Beispiele machen deutlich, wie schwer es Mütter im Alltag haben. Während die Jungs brav in ihre Büros laufen, die Weltfinanzen retten oder noch mehr Flugzeuge, Autos oder Computer bauen, müssen sie versuchen, mit ihren Kindern einen möglichst großen Bogen um das ganze Teufelszeug zu machen. Wahrscheinlich ist uns allen viel zu wenig bewusst, welche tagtäglichen Rettungstaten in unseren Straßen und Häusern vollbracht werden. Die Versuchungen einer ästhetisch entgleisten Welt mit ihren Disney-Junior-Sendern, mampfenden Plastik-Schweinen und grauenerregenden Plastikfigürchen, die uns aus den
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