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Walburgisöl - Oberbayern-Krimi

Walburgisöl - Oberbayern-Krimi

Titel: Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
Autoren: emons Verlag
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SONNTAG
    Mike Morgenstern war ein elender Schütze. Deswegen war es ein Fehler, dass er an diesem Sonntagspätnachmittag Anfang September an einer Schießbude auf dem Eichstätter Volksfestplatz stand. Er war umringt von seiner Familie – seiner Frau Fiona und den beiden Söhnen, dem neunjährigen Marius und dem siebenjährigen Bastian. Die Buben hatten ihn durch hartnäckiges Nörgeln genötigt, eine rote Plastikrose für Fiona zu schießen. Morgenstern hatte sich breitschlagen lassen und sich bereits wenige Augenblicke später dafür verflucht.
    Breitbeinig stand er mit seinen Cowboystiefeln vor dem Tresen des Schießstandes, der sich großspurig »Schützenhalle Hubertus« nannte. Gute zwei Meter vor ihm war eine ganze Armada von Plastikblumen aufgereiht, die ihm nun so unerreichbar erschienen wie der Mond.
    »Jetzt schieß halt, Papa!«, drängelte Marius, denn Morgenstern hielt das antiquierte Luftgewehr nun schon eine halbe Minute mit schweißnassen Händen im Anschlag, ohne abzudrücken. Als er es dann endlich tat, ging der Schuss daneben.
    »Du hast mich abgelenkt«, sagte Morgenstern anklagend.
    »Wie lange wolltest du denn noch zielen?«, fragte Marius zurück. »Wir möchten ja nicht ewig hier stehen.«
    Morgenstern, Kriminaloberkommissar beim Polizeipräsidium Oberbayern-Nord in Ingolstadt, hätte es wissen müssen, dass er sich hier an der Schießbude nur blamieren konnte. Durch die Schießausbildung hatte er sich mehr schlecht als recht durchgemogelt, obwohl seine Vorgesetzten ihm regelmäßig eingebläut hatten, ein bayerischer Polizeibeamter müsse souverän mit der Waffe umgehen können; das gehöre nun mal zum Job.
    Der Schießbudenbetreiber nahm Morgenstern den Karabiner ab und lud ihn neu durch. »Bitte sehr, der Herr, Sie haben ja noch neun Versuche«, sagte er mit einem aufmunternden Lächeln. Morgenstern grinste schief zurück. Neun Versuche, das bedeutete im schlimmsten Fall neun weitere Blamagen.
    Und genau so kam es. Obwohl er sich alle Mühe gab, traf er nicht ein einziges Mal. Am Ende war er ebenso verzweifelt wie ratlos. Hatte er nicht schon mal gerüchteweise gehört, dass an diesen Schießbuden die Gewehrläufe absichtlich verbogen waren, um die Trefferquote der Schützen zu senken? Das musste hier der Fall sein, sonst hätte doch zumindest eine Rose fallen müssen.
    »Ich mach mir sowieso nichts aus Plastikblumen«, sagte Fiona tröstend.
    »Aber wir könnten dir eine schießen«, meldete sich Marius.
    »Du? Mit neun Jahren?«, fragte Morgenstern.
    »Warum nicht? Weniger Treffer als du geht nicht.«
    Jetzt war Morgenstern ernsthaft beleidigt. »Von mir aus«, sagte er verschnupft. »Drei Schuss kriegst du.«
    Der Schießbudenbetreiber, der sich bisher diskret zurückgehalten hatte, wandte sich an Marius: »Wenn du willst, darfst du das Gewehr auf dem Tresen auflegen.«
    »Nö, muss nicht sein«, gab sich der Junge betont lässig. Er hob das schwere Gewehr, legte an, drückte ab, und eine Rose fiel.
    Morgenstern atmete tief durch. »Donnerwetter«, sagte er gepresst. »Da hast du aber Glück gehabt.«
    Fiona sah ihn scheel von der Seite an. »Und jetzt darf Bastian mal«, sagte sie.
    »Der Bastian ist aber wirklich noch zu klein zum Schießen«, protestierte Morgenstern.
    »Das geht schon«, widersprach der Budenbesitzer und lud bereits das Gewehr durch. »Komm, Kleiner. Ich zeig dir, wie es geht.«
    Bastian legte das Gewehr auf den Tresen, spähte durchs Visier. Ein leiser Knall, der eher ein knappes, scharfes Zischen war. Zu Morgensterns unendlicher Erleichterung ging der Schuss daneben. Das hätte noch gefehlt, dass ihn auch noch sein Jüngster deklassierte. Doch schon wurde das Gewehr zum zweiten Mal durchgeladen. Wieder knallte es, und dieses Mal hatte Bastian getroffen.
    Triumphierend überreichten die Kinder ihrer Mutter die beiden Rosen. Morgenstern lächelte säuerlich. »Jetzt wird es aber Zeit, dass wir weiterkommen. Ich glaube, ich brauche jetzt ein Bier.«
    »Freu dich doch wenigstens ein bisschen«, sagte Fiona. »Als so schlechten Verlierer kenne ich dich gar nicht.« Sie zögerte kurz und sah ihn skeptisch von der Seite an. »Mike, ich glaube, ich weiß, was mit dir los ist: Du brauchst eine Brille!«
    Morgenstern wurde rot. »Ich – eine Brille? Nie im Leben!«
    Fiona hatte an einen wunden Punkt gerührt. Morgenstern fühlte sich als Naturbursche, und in sein Selbstverständnis von kerliger Lässigkeit passte eine Brille nicht. Männer, so wie er sie sich vorstellte,
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