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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis
Autoren: Anne LaBastille
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Hundeschlitten los, im Brooksgebirge klettern, auf der Kenai-Halbinsel auf Elchjagd gehen, mit Buschpiloten ’rumfliegen. Weißt du, die Adirondacks sind nur ein Miniatur-Alaska. Da oben ist alles so viel wilder, größer, höher und kälter.« Ungeduldig machte er eine weitausholende Geste nach Norden.
    Kälter. Nick hatte kälter gesagt. Sofort streikten meine Sinne. Meine Forscherinteressen und meine Beraterarbeit hatten mich mehr und mehr auf Kurzreisen nach Mittelamerika und in die Karibik geführt. Ich liebte, was ich in den Tropen sah und fühlte. Palmen, weiße und schwarze Sandstrände, ragende Vulkane, Morgensonne, der üppige Duft der Fruchtbarkeit, nette Leute, Korallenriffe, das Gefühl heißer Sonne auf der Haut. Es war so anders, so euphorisch, verglichen mit den tristen Wintern in den Adirondacks — oder Alaska.
    Ich nahm den Brief und las ihn. Die Bezahlung war hervorragend; ein Haus sollte gestellt werden; das Institut schien einen guten Ruf zu genießen. »Sieht aus wie eine große Chance für dich«, begann ich.
    »Ja«, sagte er rasch, »es ist ganz unglaublich. Du weißt, daß ich nicht den Rest meines Lebens in Albany verbringen will. Ich habe dort aus der Zeit meiner ersten Ehe keinerlei engere Bindungen mehr. Nur dich hier oben. Du weißt, wie sehr ich Wintersport und Jagd liebe. Alaska bietet das alles — genau vor der Haustür.«
    »Für dich ebenso wie für mich«, fuhr er fort. »Für eine Tierökologin müßte es doch genau das Richtige sein. Denk mal an all das Wild da oben. Und nimm nur zum Beispiel das Problem mit der Alaska-Pipeline. Jede Menge Bedarf für Umweltschutz und Umweltplanung.«
    In den Tropen aber auch, dachte ich. Naturschutz ist in manchen lateinamerikanischen und karibischen Ländern fast ein Fremdwort, und die Naturreserven werden in alarmierendem Tempo zerstört — schneller noch als entlang der Pipeline.
    »Wenn’s im Winter zu schlimm wird, können wir ja nach Hawaii fliegen, Sonnenschein tanken«, fügte Nick hinzu. Mit leichtem Schalk sah er mich an. Ich weiß nicht, was auf meiner Miene geschrieben stand. Er stand jedenfalls abrupt auf und sagte: »Gehen wir schwimmen. Überleg dir’s. Heute abend können wir das Thema noch einmal durchsprechen. Ich hoffe, daß wir zu irgendeiner Entscheidung kommen, ehe ich morgen nachmittag weg muß.«
    Wir zogen unsere Badesachen an und gingen zur Lände. Ich stürzte mich sofort hinein und schwamm unter Wasser so weit wie möglich auf die Seemitte zu. Jadegrün war hier die Welt, in tiefe Bernsteintöne übergehend. Eine einsame Forelle schlängelte sich nonchalant hinter einen schützenden Felsen. Ich wünschte, ich hätte stundenlang hier unten bleiben können, abgeschirmt von dem Problem, das oben in Sonne und Luft und Bäumen auf mich wartete, der Bombe, die in unsere Beziehung geworfen worden war. Meine Lunge platzte fast, als ich zur Oberfläche vorstieß. Und in dieser schimmernden Sekunde zwischen Luft- und Wasserschlucken wußte ich, daß ich bleiben und daß Nick gehen würde.
    Die Entscheidungsnot rückte nicht nur unsere beruflichen Unterschiede und unsere klimatischen Vorlieben in den Vordergrund. Auch gewisse psychologische Konflikte, die sich zwischen Nick und mir aufgebaut hatten, spielten jetzt eine entscheidende Rolle.
    Mein Selbständigwerden als Frau war nicht ohne Nachteile geblieben. Mir war aufgefallen, daß sich meine Männer desto unsicherer verhielten, je kompetenter ich geworden war. Und andere benahmen sich desto aggressiver. Es war, als brächte es ihre Minderwertigkeitskomplexe zum Vorschein, als könnten sie es nicht ertragen, daß eine Frau irgend etwas besser konnte als sie. Auch mit Nick war das passiert.
    »Dir geht hier alles so gut von der Hand«, klagte er oft, wenn ihm ein Axtstiel zerbrach oder ein Farbtopf umfiel. »Da komme ich mir wie ein Trottel vor.«
    »Aber ich mußte es auch erst lernen, Liebling. Es war eine Überlebensfrage.«
    Trotzdem bewirkte das Unterlegenheitsgefühl, daß sich Nick an den Arbeiten in und an der Hütte immer weniger beteiligte. Er sagte, es lasse ihm zu wenig Zeit für seine Unterrichtsvorbereitungen, für das Korrigieren von Arbeiten, für das Lesen von Eisenbahnbüchern (Nick war Eisenbahnfan), für die Jagd usw. So erledigte also immer ich den Löwenanteil der Instandhaltung und
    Reparaturen, während er am Schreibtisch saß oder in den Wäldern herumstreifte. Allmählich kam ich mir wie ein Kuli vor. Ich wußte, daß Nick die Hütte — mehr
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