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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis
Autoren: Anne LaBastille
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schaffte ich mehrere Kisten Bücher, Kleider, Akten, Wäsche und Küchenutensilien mit dem Boot zu meinem Wagen und machte mich mit Pitzi auf die achthundert Kilometer lange Fahrt zur Hauptstadt unserer Nation. Noch ahnte ich nicht, daß mir eine Reise der schreiendsten Kontraste bevorstand, ein Kulturschock, stärker als alles, was ich in Mittel- und Südamerika, in Indien und in der Karibik erlebt hatte.
    Zwei enge Freunde, Sally und Loren, hatten mir angeboten, bei ihnen zu wohnen, bis ich mich eingearbeitet hatte. Da ich die Strecke noch nie gefahren war, ließ sich meine Ankunftszeit nicht Voraussagen. Sie erwarteten mich irgendwann im Lauf des Wochenendes. Ich kam gut durch, schaffte die Fahrt vom Black Bear Lake nach Georgetown — Washingtons Universitätsviertel — an einem Tag und traf am Samstag gegen sieben Uhr abends ein. Loren und Sally waren gerade auf dem Sprung zu einer Dinnerparty, als ich an ihre Tür klopfte. Enthusiastische Umarmungen, dann zeigten sie mir mein Zimmer.
    »Mach’s dir bequem«, sagten sie. »Gegen Mitternacht sind wir wieder da.«
    »Vorher solltest du unbedingt deinen Wagen ausladen«, riet Loren. »Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber wir sind schon spät dran.«
    »Warum hat das nicht Zeit bis morgen?« meinte ich. »Ich bin ziemlich müde.«
    »Weil morgen dein Gepäck garantiert weg ist«, sagte Loren mit ernster Miene.
    »Du scherzt wohl. Wer wollte denn hier an einer hübschen Straße im Herzen von Georgetown einen alten Pickupkombi ausräumen?«
    »Er hat recht«, bestätigte Sally. »Hier in Washington ist nichts sicher, und es hat in letzter Zeit viele Raubüberfälle gegeben.«
    »Also, ich habe ein Dutzend Kisten, drei Koffer, eine Schreibmaschine, einen Kamerakoffer, einen Fünfzig-Pfund-Sack Hundefutter und ein Fahrrad im Wagen«, stöhnte ich. »Muß denn alles raus?«
    »Alles«, sagten sie unisono. »Bis auf das Hundefutter«, fügte Loren hinzu. Dann gaben sie mir Abschiedsküsse und schärften mir ein, beide Sicherheitsriegel an der Haustür vorzuschieben.
    Ungläubig schüttelte ich den Kopf und wanderte mit Pitzi nach draußen zu meinem Wagen. Eine ruhige Wohnstraße, gesäumt von reizenden alten Häusern, jedes nicht breiter als mein Holzschuppen, und hohen Bäumen. Die Häuser sahen aus, als gehörten sie zu einem Provinzstädtchen und nicht zu einer Drei-Millionen-Stadt.
    Erschöpft öffnete ich die Ladetür und zog mein Fahrrad heraus. Als ich es abstellte, sah ich einen Streifenwagen heranfahren und an der Ecke halten. Ein anderer glitt aus der Gegenrichtung heran. Aus einer Seitenstraße tauchte ein behelmter Polizist mit Motorrad auf. Fern auf dem Bürgersteig kamen zwei weitere angelaufen, mit Knüppel und Funkgerät in der Hand. Plötzlich knurrte Pitzi, und sein Nackenpelz sträubte sich. Aus dem zweiten Wagen war ein riesiger Polizeihund gesprungen und stand da, gehorsam seinen Herrn anblickend. Ich schnappte Pitzi am Halsband, ehe sich ein Kampf entspinnen konnte.
    Als ich noch Hund und Fahrrad festhielt und mich erstaunt umblickte, kam ein Hubschrauber durch die Nacht herangetuckert und blieb direkt über uns in der Luft schweben. Ein Scheinwerfer leuchtete mir ins Gesicht. Pitzi begann wütend zu bellen. Aus dem Augenwinkel glaubte ich eine schattenhafte Gestalt über ein Dach huschen und in einen kleinen Hof verschwinden zu sehen. Dröhnend und flatternd wie ein bösartiger prähistorischer Vogel hing der Helikopter ruhelos über den Dächern, mit dem Suchscheinwerfer in alle Richtungen tastend. Der Ring der Polizisten zog sich um ein Haus zusammen, das nur zwei Türen von Sallys und Lorens Domizil entfernt war.
    Rasch verfrachtete ich Pitzi und das Rad nach drinnen und beeilte mich, den Rest meines Gepäcks auszuladen. Als ich fertig war, hatte der hochnäsige Hubschrauber sich auf den Rückweg zum Potomac gemacht, der Polizeihund war wieder in seinem Wagen, die Beamten zogen ab. Der Einbrecher war entkommen. Ich schloß das leere Auto ab, verrammelte die Haustür mit beiden Sicherheitsbolzen und ließ mich in einen Sessel fallen. Laut sagte ich zu Pitzi: »Willkommen in Washington!«
    Es begann mir zu dämmern, daß ich für diese bedrohliche Umwelt ganz neue Überlebenstechniken würde lernen müssen. Ein Gefühl des Mißtrauens und der Angst, wie ich es in den Adirondacks nie gekannt hatte, beschlich mich und verließ mich bis zu meiner Abreise nicht mehr.
    Sehr stark drangen in dieser Nacht die Stadtgeräusche auf mich ein.
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