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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst
Autoren: Louise Millar
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klettert der eisige Ring an mir hoch, fast habe ich es geschafft.
    »Schwimm einfach los«, ruft mir Suzy zu. Ihr munteres Amerikanisch hallt über den ganzen Teich, die Bademeisterin schaut herüber.
    Ich stoße mich vom Rand ab. Ich bin keine gute Schwimmerin. Suzy schließt zu mir auf, dreht sich auf den Rücken und blickt in den klaren Himmel und in die Baumwipfel hoch.
    »Ist doch toll hier. Nächste Woche buche ich uns einen Tag in diesem Spa in Covent Garden, von dem du mir erzählt hast.«
    Mir sacken die Beine ab, Wasser läuft mir in den Mund. Ich pruste und fange heftig an zu strampeln. Der Teich ist so tief, dass ich nicht mehr stehen kann.
    »He, alles okay?« Suzy greift mir unter den Arm. »Los, schwimmen wir bis zur Mitte, dann kehren wir um.«
    Ich hole tief Luft, schnaube mir die Nase frei und folge Suzy.
    »Suze«, sage ich, »im Moment kann ich für solche Dinge kein Geld ausgeben.«
    »Sei nicht blöd, Honey, das übernehme ich schon«, antwortet sie. Ich weiß, dass sie das ernst meint. Geld ist bei den Howards kein Thema. Jez’ Geschäfte boomen sogar in diesen unsicheren Zeiten. Geld hat für Suzy nicht diesen beklemmenden Beigeschmack wie für mich. Bei ihr lungert es nicht im Haus herum wie eine ewig nörgelnde Mutter, die sich in jede Entscheidung einmischt und jeden Traum mit der Bemerkung platzen lässt: »Vielleicht nächstes Jahr.«
    Suzy sieht, dass ich mich wieder gefangen habe, und lässt mich alleine weiterschwimmen. Ich überlege, in welche Richtung. Es ist eigenartig, in einem Naturgewässer zu schwimmen, ohne gekachelte Ränder als Ziel; hier gibt es nur sanft abfallende, von glitschigen Baumwurzeln geäderte Ufer. Kein rechteckiges Becken, das mir die Bahnen vorgibt. Suzy hat recht, das ist schön. Aber im Moment sehne ich mich nach Ecken und Rändern, nach Start und Ziel.
    Ich höre ein Platschen und drehe mich um. Die alte Dame klettert die Leiter hoch und steigt aus dem Teich. Verblüfft sehe ich, dass sie um die neunzig sein muss. Braune Haut hängt locker wie geraffte Vorhänge um ihre kräftigen alten Knochen. Ich denke an meine eigene Großmutter, die nach dem Tod meines Großvaters zwanzig Jahre lang nur im Sessel gesessen, ferngesehen und auf das Ende gewartet hat. Wie kommt es, dass die eine alte Dame nur fernsieht, die andere aber an Sommertagen zum Badeteich aufbricht und zwischen Seerosen und Eisvögeln herumpaddelt?
    Die Greisin fühlt sich in ihrem Körper sichtlich unbefangen; selbstbewusst geht sie vorbei an den beiden jungen, schlanken, im selben satten Bronzeton chemiegebräunten Frauen vorbei, die in lebhaften Klatsch vertieft sind, die Augen hinter übergroßen Designersonnenbrillen verborgen. Wahrscheinlich die Ehefrauen von Geschäftsmännern aus der Gegend. Ich male mir aus, dass die alte Dame eine Suffragette oder eine berühmte Botanikerin ist, die in jüngeren Jahren auf einem Esel entlegene Gebiete Südamerikas durchstreift hat, um neue Pflanzen zu entdecken. Wie auch immer – sie hat spürbar nichts übrig für junge Frauen wie die da drüben. Oder wie mich. Wahrscheinlich hat sie es sich verdient, ihre Tage so herrlich zu vertrödeln. Und sie weiß, dass unsere Tage von jemand anderem finanziert werden.
    Das ist kein Zustand. Das muss aufhören.
    Ich atme tief durch die Nase ein, schwimme, so schnell ich kann, zur Leiter zurück und greife mit tropfenden Händen nach dem Geländer. Als ich mich aus dem Wasser ziehe, fühlt sich mein Körper merkwürdig schwer an. Schwer von der Last meiner Schuld vermutlich.
    Ich muss Worte finden, um es Suzy zu erzählen. Ich halte das nicht mehr aus.
     
    Schon an Ostern zeichnete sich ab, welche Unmengen Pläne Suzy für uns beide schmiedete. Seit sie nach London übersiedelt war, hatte sie tagsüber noch keine Stunde für sich gehabt, ohne die Kinder, behauptet sie. Selbst wenn Jez zu Hause ist, sieht er sich außerstande, mit allen dreien auf einmal fertig zu werden, und so hat sie immer, egal, was sie tut, mindestens ein Kind im Schlepptau.
    Aber seit Mai gehen Peter und Otto in eine private Kinderkrippe, und Henry und meine Rae haben bald ihr erstes Grundschuljahr hinter sich. Endlich hat Suzy die Chance, all das zu tun, was sie aus der
Time Out
und ihrem Londonführer herausgeschrieben hat. Den ganzen Juni waren wir fast jeden Tag unterwegs. Sie weiß, dass ich kein Geld habe, deshalb durften unsere Vergnügungen nichts kosten. Wir sind allen Verboten zum Trotz durch den Regent’s Park geskatet. »Die
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