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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition)
Autoren: Terézia Mora
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fallen konnte, das immer noch da stand, und sie sah in dieses Gesicht und wusste es. Er hatte einen kaum vorhandenen, kaum hörbaren, nur spürbaren: Akzent.
    Er hatte es selbst schon bemerkt. Schüttelte den Kopf, schnitt einpaar Grimassen, um die Sprechorgane zu lockern. H-khrm, sagte er, und es hörte sich an, als käme er in einen verspäteten Stimmbruch. Mag sein, es lag nur an der Trockenheit, er hatte seit Tagen nichts getrunken, jede meiner Zellen eine kleine Wüste. Er trank nach Rost schmeckendes, lauwarmes Wasser aus dem Hahn, aber auch das half nicht viel. Es lag darunter . Etwas, das man nicht abwaschen kann. Im Grunde wusste er, dass es egal war, was er tat, trinken, Sprechübungen, die Veränderung vollzog sich ganz ohne sein Zutun und kaum spürbar: ein leises Kribbeln in der Gegend der Stimmbänder, das war alles. Er traute sich nicht, in den Spiegel zu schauen. Wenn es so ist, wenn ich mich gerade verwandle, dann will ich mich dabei nicht sehen. Diese beiden Sachen traute er sich nicht: zu sprechen und in den Spiegel zu schauen. Später überwand er Ersteres, indem er Mercedes anrief. Wobei nicht nur sie etwas Neues an ihm zu hören glaubte, sondern auch er an ihr: auch er glaubte, einen Akzent bei ihr wahrzunehmen, aber das konnte nicht sein, sie sprach ihre Muttersprache, es war nur sein verändertes Gehör: Er nahm das erste Mal die ihr eigene Heiserkeit, die Färbung ihrer Stimme wahr.
    Was gibt es? fragte sie. Hast du die Papiere?
    H-khrm, sagte er. Nein, noch nicht, ich ...
    Sie wartete.
    Könnte ich mit Omar sprechen?
    Er ist nicht da. Kann ich etwas ausrichten?
    Pause.
    Sag ihm, es tut mir Leid wegen Do … Nein. Sag ihm, ich rufe wieder an.
    Gut, sagte sie und legte auf.
    Meine Hände sind ganz feucht.

Letzte Wendung
    Den Tag vorher hatte sich Mercedes mit Tatjana getroffen.
    Es ist einiges zusammengekommen und wenigstens einen Bruchteil davon muss ich erzählen.
    Gut, sagte die Freundin.
    Zuerst die Sache mit Erik.
    Aha, sagte Tatjana und klopfte geräuschvoll den Löffel an der Tasse ab. Störrischer Milchschaum. Was ist mit ihm?

    Wie war sein Tag, wahrscheinlich wie immer. Als die Familie erwachte, stand er schon im Garten, die stattlichen Hosenbeine hochgekrempelt, barfuß im holprigen Naturgras, und studierte den Verlauf der Maulwurfshügel. Anschließend trocknete er sich auf der holzgezimmerten Terrasse in einem alten Korbstuhl sitzend mit einem kleinen, harten, nur für diesen Zweck benutzten Handtuch den Tau von den Füßen und unterhielt sich mit seinen Töchtern. In der Küche küsste er seine Frau aufs Haar, sie ließ sich gegen seinen weichen Bauch fallen, rieb ihre Nase an seiner Schulter, nahm seinen Geruch auf und an: Hinter Seife und neuem Schweiß eine Ahnung vom einige Stunden zurückliegenden Geschlechtsverkehr, und über allem der Duft der ehemals tiefgekühlten, jetzt aufgebackenen Brötchen, die er für alle vorbereitet hatte.
    (Ach ja! Tatjana seufzt.)
    Auf seinem Weg in die Stadt überfuhr Erik einen Igel. Die Gedärme des Tiers lagen auf der Straße, eine kleine, blaue Niere. Schön ist das nicht, aber für den weiteren Verlauf des Tages spielte es vielleicht wirklich keine Rolle. Das Entscheidende, wie er immer sagt, ist erstens, den Moment zu erkennen und ihn, zweitens, im Lichte der Ewigkeit zu betrachten. Ich bin das Tier, das (im Prinzip) Autos bauen kann, während das Tier, das Stacheln auf dem Rücken hat, sterbend am Straßenrand liegt, und aus.
    (Hm, sagt Tatjana.)
    Um zehn Uhr dreißig traf er sich mit einem Autor in diesem Café, in dem wir jetzt auch sitzen. Das Manuskript, um das es ging, trug den Titel: »Der Narr als König. Geistig behinderte Könige und ihre Regierungen«. Oder, sagte Erik, um es mit meinen eigenen Worten zu sagen: Ist es besser oder schlechter für uns, wenn der oberste Machthaber ein Idiot ist?
    Hm, sagte der Autor.
    Eine Minute, nachdem sie sich an den Tisch gesetzt hatten, war klar, dass das Treffen umsonst sein würde: Auf gegenseitige persönliche Abneigung folgte prompt fachliches Desinteresse. Mit der heißen Nadel gestricktes, eitles, sprachlich schluderiges, pseudowissenschaftliches Gerede, das könnte ich auch. Wortkarges Warten auf ein leider schon bestelltes Frühstück. Hier, deus ex machina, erschien Tatjana im Café. Tat so, als hätte sie ihn nicht gesehen, setzte sich an die Bar. Ihre Haare, ihr Rücken, ihr Hintern, ihre Beine, gemustert vom fremden Autor. Gemustert auch von Erik. Objektives körperliches
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