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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition)
Autoren: Terézia Mora
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gut, sagte Halldor Rose und ging.
    Jetzt saß er also auf dem Balkon. Hallo.

    Abel schaute hin, erblickte durch einen Spalt einpaar Lippen, umgeben von einem Siebentagebart, eine Strähne des langen, struppigen Haupthaars wehte quer über sie, während sie sagten: Ist das nicht ein herrlicher Tag?
    Ein Schwarm Vögel flog von links nach rechts.
    Abel versuchte, die Zunge zu bewegen, aber sie fühlte sich zu trocken an, er nickte nur: Ja, herrlicher Tag.
    Gott sei Dank, sagte H.R. durch den Spalt. Ich bin wieder da. Das war vielleicht eine Woche.
    Wem sagst du das.
    Saß auf dem Balkon, und da er nichts fand, was dem widersprochen hätte, stand er, nachdem er einpaar Worte mit seinem Nachbarn über die Abgrenzung hinweg gewechselt hatte, ohne große Mühe auf und ging in die Wohnung zurück.

    Ging in die Wohnung zurück und erkannte sie kaum. Er erinnerte sich dunkel: an die zeitweiligen Anstrengungen der letzten Jahre, Ordnung und Sauberkeit in das Chaos zu bringen, ohne, wie man jetzt sehen konnte, jeden Erfolg. Obwohl sich die Form des Raumes als weniger zerklüftet erwies, als er es in Erinnerung hatte – er zählte die Ecken durch: es waren nur fünf, eine mehr als normal –, war das, was er sah, ein weites Feld nahezu vollständiger Verwahrlosung. Es half auch nichts, dass es nur wenige Gegenstände gab, schäbig und sichtbar schmutzig. Es roch auch. Er ging zwischen den schwarzen Haufen, mehrheitlich Kleidungsstücken, hindurch, und er wusste schon, dass all das nicht in Folge des Deliriums dort hingekommen war, wo es jetzt lag, sondern schon vorher dort gewesen sein muss, wahrscheinlich seit sehr langer Zeit. Er war barfuß – den einen Fuß ganz aufgesetzt, den anderen, den verletzten, nur mit dem Haken –, es war, als ginge er über Scherben, dabei waren es nur Krümel. Auf, im, unter dem Teppich unendlicher Schmutz. Auch das nie benutzte Küchenradio seines Vormieters war ganz verkrustet vor Fett und Staub. Er stellte es an. Der Ton kam knarzend unter der Kruste hervor. Nachrichten. Wegen einer Grippeerkrankung des Angeklagten S.M. musste die Verhandlung im Prozess von H. erneut verschoben werden. Amtierende Staatschefs genießen nach dem neuen, entschärften Gesetz gegen Völkermord Immunität undsoweiter. Er schaltete das Radio wieder aus und setzte sich in die Badewanne mit dem Überzug aus goldenem und schwarzem Fett. Er wusch seinen Körper sehr sorgfältig, und horchte dabei weiter in sich hinein, aber das Ergebnis blieb das Gleiche, nennen wir es ein Wunder: Kein Tropfen Gift war mehr in keiner einzigen Zelle seines Körpers, die Droge hatte sich verflüchtigt, und mit ihr auch alles andere. Seine gesamte Wahrnehmung, Sinne, Bewusstsein waren absolut klar, und zwar seit etwas mehr als dreizehn Jahren das erste Mal. Ich sehe, rieche, taste jetzt so wie die anderen Menschen. Und wie jeder andere in so einer Situation, fühlte er über diese Entdeckung das Zittern einer kleinen Freude und eines großen Fürchtens aufsteigen, aber dieses Fürchten hatte nichts mehr zu tun mit jenem anderen. Das war weg. Es war weg.
    Aber nur sachte. Sich vorsichtig durch das Minenfeld bewegen. Allzu brüchig ist noch dieser Frieden, eine unbedachte Bewegung, ein falsches Geräusch, und alles könnte wieder vorbei oder zurück sein. Der einzige Sinn, der anscheinend gelitten hatte, war das Gehör. Er konnte Halldor Roses Bewegungen in der Wohnung nebenan nicht hören, und auch die Walgesänge der Waggons nur ganz fern, obwohl die Tür zum Balkon, wie sonst selten, offen stand. Statt dessen hatte er ein Summen in den Ohren, wie das Summen eines Computers in einem leeren Raum oder eines gleichmäßigen, fernen Windes, der Ssssssssch macht. Ssssssssssssssch. Der Computer konnte es jedenfalls nicht sein, den hatte er seit Tagen nicht mehr eingeschaltet.

    Dafür konnte Mercedes die Waggons sogar sehr deutlich hören, sie waren fast so laut wie seine Stimme, als wären sie aufeinander abgestimmt wie in einem atonalen Musikstück, aber das war nicht das Entscheidende. Das Entscheidende war, dass sie etwas hörte, was sie zunächst nicht zuordnen konnte, erst nach einer ganzen Weile, nachdem sie schon aufgelegt hatte und aus Küche, Bad, Schlafzimmer, wohin sie in ihrer Aufregung gelaufen war – Das Telefon klingelt, ich gehe nichts ahnend ran, und wer ist es? –, zurück ins Wohnzimmer gekehrt war, wo sie zwischen dem gesprungenen Marmortisch und der alten Kommode stehen blieb, so dass ihr Blick auf das Hochzeitsfoto
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