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Alle lieben Peter

Alle lieben Peter

Titel: Alle lieben Peter
Autoren: Hans G. Bentz
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Seelen, die dann oben tanzen? Merkwürdig! Plötzlich — ich war wohl einen Moment eingenickt — hörte ich eine Stimme ganz dicht an meinem Ohr, eine dringliche, eilige, warnende Stimme: »Paß auf meinen Peter auf!« Pauls Gesicht im Wagenfenster: »Paß auf meinen Peter auf!« Ich fuhr mit einem Schrei hoch. Frauchens Arm war um mich, ihre Hand über meiner Stirn. Ich erzählte ihr den Traum.
    »Habe ich wirklich aufgepaßt?« fragte ich schließlich.
    »Natürlich hast du das! Was solltest du anderes tun als die beiden Hunde an dich heranziehen?«
    »Vielleicht hätte ich ihn einfach laufen lassen sollen, er war ja so flink.«
    »Aber er konnte doch schlecht ausweichen in dem engen Weg! Grübele nicht. Es soll alles so sein!«
    »Ja — vielleicht.« Ich richtete mich auf: »Aber das ist kein Trost.«
    Wir traten wieder ans Fenster und sahen zu dem Hügel hinüber.
    »Er sieht so nah aus«, sagte sie. »Wie weit mag’s sein von hier bis dort?«
    Ich räusperte mich: »So zwei-, dreihundert Meter.«
    Aber wir wußten, daß die Ewigkeit dazwischenlag, die ganze Ewigkeit.
    »Leg dich jetzt hin«, sagte sie, »ich gebe dir zwei Tabletten und — zweifle nicht. Peterle grämt sich, wenn er es sieht.«
    Da konnten wir endlich weinen.

    Die Wochen, die Monate glitten, der Winter verging. Unser Schmerz blieb. Wir lebten, wir arbeiteten, wir lachten auch mitunter, aber immer schwang die Trauer um Peter unter dem allem, und sehr leicht, bei irgendeiner Erinnerung, konnte sie wieder zu wildem Weh aufflammen.
    Jeden Tag gingen wir zum Hügel. Allmählich sank dort der Schnee in sich zusammen, und die Erde kam darunter vor, feucht und schwarz und ganz zerdrückt. Dann waren die ersten Schneeglöckchen da und die ersten Anemonen, und schließlich, mit einer wahren Explosion der unverwüstlichen Lebenskraft, bedeckte sich der ganze Hügel mit Blumen, die Armee der Insekten trat an, und die kleinen Tannen streckten grüne Händchen aus.
    Eines Morgens hatte ich die Hunde mitgenommen und saß neben dem hohlen Baumstamm auf der Erde. Das Gebirgsmassiv türmte sich weiß und erhaben in den blauen Himmel, und auch die Vorberge hatten noch weiße Kappen auf. Der Himmel war von langen, gewellten Wolken durchzogen. Wie der Boden eines Meeres sah er aus. Eine Lerche stand schmetternd über der Wiese drüben, und neben mir brummelte eine Hummel.
    Ich streichelte die sonnenwarmen Steine: »So schön hast du ‘s hier, Peterle. Ganz tief liegst du in den Blumen, die du doch so liebhattest, und Rehchen und Häschen springen über dein Grab.« Der Schmerz brach plötzlich wieder los und krümmte mich ganz zusammen. »Ach, Peterle«, ächzte ich, »sei froh, daß du’s hinter dir hast — dieses Leben. Es ist’s nicht wert.«
    Ich starrte mit schwimmenden Augen um mich. Und da sah ich etwas ganz Seltsames. Cocki und Weffi waren erst in dem Gewirr von Gras, Felsbrocken und Tannen herumgestromert. Dann war es ihnen wohl zu langweilig geworden, und sie kamen zurück, um zu sehen, ob Herrchen denn noch immer auf der Erde hockte und mit jemandem sprach, den man nicht sah. Der kleine Löwe wuchtete auf mich zu, roch an dem Baumstamm und sah mich mit seinen goldenen Augen an. Und da kam Weffi nachgetänzelt, warf sich vor ihm nieder, wand sich unter ihm durch, küßte ihm Augen und Ohren und legte sich schließlich vor ihm auf den Rücken. Genau, wie es Peter getan!
    Er wollte dem kleinen Löwen das Brüderchen ersetzen — daran gab es für mich keinen Zweifel!
    Ein Schauer lief über meinen Rücken, und plötzlich, in einer blendenden Helle, hatte ich das Gefühl, es lüfte sich mir ein Zipfel des großen Weltgeheimnisses. Aus der ungeheuren Schrift, die den Sinn alles Lebens birgt, konnte ich ein Wort entziffern: Liebe.
    Körper kommen und vergehen. Aber das Kostbarste, das sie tragen dürfen, solange das Leben sie erfüllt, die Liebe, sie bleibt. Sie wandert von Geschöpf zu Geschöpf, aber sie selbst ist ewig. Der Weg zu ihr ist das Leid. Er endet, wenn wir sie erreichen, und in ihr sind auch wir ewig.
    Ich sah diesen Weg vor mir, gleich einer schnurgeraden weißen Straße, die in die Sonne mündete. Ein kleiner schwarzer Schatten trabte mir voraus. Jetzt wandte er sich nach mir um, und das Licht flammte in seiner silbrigen Stirnlocke:
    »Kommst du bald, Herrchen?«
    Dann trabte er weiter, auf langen, dünnen Fliegenbeinen. Bis er in dem großen Strahlen verschwand.

    ENDE
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