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Alle lieben Merry

Alle lieben Merry

Titel: Alle lieben Merry
Autoren: Jennifer Greene
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und sich umgesehen hatte, wäre sie beinahe in Panik geraten. Aber sie hatte sich darauf besonnen, was wichtig war: Charlene. Alles dafür vorzubereiten, wenn das kleine Mädchen nach Hause kam. Merrys oberste Priorität waren das Aufstellen des rosa Weihnachtsbaums und die Geschenke gewesen – das Kind sollte sein Weihnachtsfest haben, komme, was wolle!
    Und danach – nun, das Haus hatte sie in tausenderlei Hinsicht irritiert, aber es vorerst einfach wohnlich zu machen, war die erste Aufgabe gewesen, der sie sich gestellt hatte. Ganz offensichtlich hatte niemand aufgeräumt, seit Charlie tot war. Eine Socke im Wohnzimmer, ein Jackett über der Lehne eines Küchenstuhls, Rasierschaum im Bad – nichts Schlimmes, aber Erinnerungen, mit denen Charlene nicht gleich konfrontiert werden sollte, sobald sie durch die Tür kam.
    Nachdem sie Ordnung gemacht hatte, hatte sie festgestellt, dass der schauerliche Geruch in der Küche aus dem Kühlschrank kam. Und damit war der Rest der Nacht dahin gewesen. Sie hatte den ekligen Inhalt des Kühlschranks weggeworfen, alles sauber gemacht und aus einem Laden, der nachts geöffnet hatte, Milch und ein paar andere Lebensmittel geholt. Danach hatte sie abgestaubt, gesaugt und das Badezimmer geputzt.
    Als ihr nun unter der Dusche das Shampoo übers Gesicht lief, gestand sie sich ein, dass es ihr im Allgemeinen nichts ausmachte, schlampig in Haushaltsdingen zu sein. Ein bisschen schlampig zumindest. Viel zu viele andere Dinge waren interessanter und wichtiger als Staub, aber Merry konnte ihren gestrigen Putzanfall begründen. Es ging nicht um den Schmutz. Es ging darum, Charlene das Heimkommen so schmerzfrei und untraumatisch wie möglich zu machen.
    Merry föhnte sich rasch die Haare und schlüpfte in Jeans und einen flauschigen gelben Mohair-Pulli. In der Küche beäugte sie argwöhnisch die schicke Kaffeemaschine. Sie sah äußerst extravagant aus – wie eine Erfindung aus dem Jahr zweitausendfünfundsiebzig. Glänzender als Lipgloss. Und, wie sie letzte Nacht festgestellt hatte, sie konnte sie nicht einschalten. Es war einfach nicht möglich, herauszufinden, wie man sie dazu bringen konnte, eine Tasse Kaffee zu produzieren.
    Es war nicht fair, sie morgens ohne Koffein in die Welt hinauszuschicken.
    Sie schnappte sich einen Apfel – nachts frisch gekauft – und erinnerte sich wieder an das Benehmen des Anwalts gestern. Lee Oxford ging ihr nicht aus dem Kopf. Sein profitorientiertes Denken. Seine Kälte. Die Tatsache, dass er nicht auch nur ein einziges Mal Charlenes Namen erwähnt hatte.
    Sie war fest entschlossen. Egal, für wie verrückt sie alle hielten, nichts und niemand würde Merry bewegen können, dieses Kind im Stich zu lassen. Nie im Leben.
    Sie wusste zu genau, was es hieß, im Stich gelassen zu werden.
    Wenn man es nüchtern betrachtete, war es vielleicht sogar gut, dass der Anwalt so ein berechnender Typ war. Sein Verhalten hatte sie in ihrem Entschluss nur noch mehr bestärkt. Sie biss in den Apfel, schnappte sich ihre Jacke und die Wegbeschreibung zu dem Heim, die ihr Oxford gegeben hatte, und eilte hinaus. In den frühen Morgenstunden hatte es wieder geschneit, und im Licht der Dämmerung wirkten die Häuser rundherum wie mit Puderzucker bestäubt.
    Dem Lichtschein in seiner Küche nach zu schließen, war ihr Nachbar auf, aber sie konnte ihn nirgendwo entdecken. Nicht nur einmal hatte sie in der letzten Nacht gedacht, dass es nicht nachteilig wäre, neben einem so gut aussehenden Mann zu wohnen. Wahrscheinlich war er verheiratet. Aber jemanden ansehen war ja nicht verboten, oder? Und er hatte einen Pick-up. Er wirkte praktisch begabt und geschickt. Noch mehr, was man an einem Nachbarn schätzte.
    Es sah so aus, als hätte sie
jede Menge
Nachbarn. Vor den anderen Garagen liefen gerade die Autos warm, nicht unähnlich der Situation vor dem Start beim Rennen in Indianapolis. Obwohl bei dieser speziellen Startaufstellung vornehmlich dicke Benzinkutschen vertreten waren – bereit, aus der Vorstadtidylle auf die Auffahrt zum Highway und Richtung Arbeit zu brausen. Einige Insassen winkten ihr zu.
    Während sie zurückwinkte, bemerkte sie, dass alle – sowohl die Männer als auch die Frauen – unter ihren feinen Wollmänteln Nadelstreifen trugen. Ein Anblick, der sie wieder leicht nervös werden ließ. Sie fühlte sich wie ein Außerirdischer. Nie hatte sie einen Nadelstreifen-Anzug besessen und auch nie einen gewollt. Und das, obwohl kein so großer Altersunterschied
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