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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Bruno und Mariette – Diamantis hatte eine Familie für sich gefunden. Er fühlte sich wohler in ihrer Gesellschaft als bei Venetsanou, einem entfernten Cousin, der in Marseille lebte.
    Einmal hatte er Venetsanou besucht, nachdem er erfahren hatte, dass die Aldebaran nicht so bald wieder auslaufen würde. Diamantis hatte ihn seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Er hatte eine »Marseiller Griechin« geheiratet, ihr drei Kinder gemacht und mit seinem Schwager das kleine Bauunternehmen seines Onkels weitergeführt. Mit durchschlagendem Erfolg. Seitdem wohnten sie in einer kleinen Villa im Montebello-Tal, auf den Hügeln der Stadt, hinter Notre-Dame-de-la-Garde.
    »Ihr habt es gut hier.«
    »Ja, das ist ein gutes Viertel. Und das Gymnasium gleich nebenan ist eins der Besten für die Kinder. Ich will ja nichts sagen, aber Marseille hat sich verändert. Ich weiß nicht, ob es dir in der kurzen Zeit aufgefallen ist, aber es ist voller Ausländer.«
    Diamantis glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
    »Das ganze Stadtzentrum ist verseucht. Gut, im Rathaus sind sie dabei, aufzuräumen, aber … Wir gehen nicht mehr auf die Canebière, so einfach ist das. Wir gehen nicht über die Place Castellane hinaus. Wir holen alles hier, in unserer Nähe. Der Markt, die Läden, die Kinos …«
    Diamantis schaute immer noch verständnislos.
    Venetsanou lächelte verschwörerisch. »Na, die Kameltreiber aus Nordafrika!«
    Sie waren erst beim Aperitif. Die Mahlzeit fing ja gut an. Auf der Aldebaran waren zwei Birmanen, einer von der Elfenbeinküste, einer von den Komoren, ein Türke, ein Marokkaner und ein Ungar. Abdul Aziz war Libanese und er selber Grieche. Wer war wem fremd, wenn man einmal auf See war? In den fast dreißig Jahren, in denen er mit Menschen aller Rassen der Erde auf sämtlichen Weltmeeren gefahren war, hatte sich die Rassenfrage nie gestellt. Das gab er Dimitri zur Antwort.
    »Menschliche Probleme habe ich erlebt, ja. Auch Machtprobleme. Fragen der Kompetenz und der Inkompetenz. Aber ich hab nie gesehen, dass ein Schwarzer weniger wert ist als ein Weißer.«
    »Darum geht es doch nicht, Diamantis. Sie kommen nach Frankreich, und sie wollen alles.«
    »Wie du. Mit sechzehn hast du eingesehen, dass du nicht dein ganzes Leben nach Schwämmen tauchen wolltest. Also hast du Symi verlassen und bist nach Marseille zu deinem Onkel Caginolas gekommen. Er hat dich mit ihm arbeiten lassen, und heute bist du dein eigener Herr …«
    »Und ich habe eine Familie gegründet, ja, und ich habe ihr ein Dach über dem Kopf geschaffen. Und mein Geld verprasse ich hier. Ein echter Franzose! Ich habe gedient!«
    Der Ton war hitzig geworden. Diamantis hatte seinen Teller zurückgeschoben. Tintenfische in Wein und Tomaten, wie sie auf den Inseln zubereitet wurden. Nena hatte sich Mühe gegeben. Aber offenbar kannte sie sich mit Steak und Frites oder Würstchen mit Kartoffelbrei besser aus. Weder die Sauce noch der Fisch schmeckte.
    Nun kamen alte Rechnungen aufs Tapet. Auch Melina stammte aus Symi, und Dimitri war verliebt in sie gewesen. Eines Sommers war er zurückgekommen und hatte um ihre Hand angehalten. »Ich liebe Diamantis. Er ist es, auf den ich warte«, hatte sie ihm geantwortet. Dimitri hatte sie verspottet. Sie würde alt werden wie Penelope. In der ewig vergeblichen Hoffnung auf seine Heimkehr.
    »Was kann man von einem Seemann schon erwarten?«, hatte er gefragt.
    »Nichts. Ich hatte nicht wenige Abenteuer auf der Universität. Ich habe immer noch welche. Aber ich liebe nur ihn. Begreifst du das? Wenn ich heirate, ein Kind habe, dann mit ihm.«
    An dem Tag, als Melina Diamantis verkündete, dass sie die Scheidung wollte, gestand sie ihm: »Ich bereue nichts, bitte verstehe. Aber es ist besser so. Besser für die vielen glücklichen Momente, die wir zusammen gehabt haben.« Diamantis verstand, was er alles verlor. Melina hatte ihm ihre Jugend geschenkt, und er hatte sie auf See vergeudet. Keiner von beiden fand an jenem Abend Worte für ihren Schmerz. Sie liebten sich, langsam. Nur um ihren Tränen einen Sinn zu geben. Die folgenden Abende hatte Diamantis in den Bars von Athen verbracht. Und sich volllaufen lassen, während er auf ein Schiff zum Anheuern wartete.
    »Weißt du was Neues von Melina?«, fragte Dimitri mit einer boshaften Spitze.
    »Sie wird wieder heiraten«, log Diamantis. »Du siehst, hättest du gewartet …«
    Nena verließ den Tisch, Tränen in den Augen.
    »Du bist ein Arschloch!«, schrie Dimitri. »Du hattest
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