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Akte X

Akte X

Titel: Akte X
Autoren: Antikorper
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wollte nicht, daß es während seiner Schicht dazu kam.
    Der grelle Strahl seiner Taschenlampe brannte einen immer größer werdenden Kegel durch den Nebel und riß das Labyrinth aus eingeknickten Trägern, verkohlten Holzbalken und heruntergefallenen Dachsparren aus der Dunkelheit. Die DyMar-Laboratorien sahen wie die vergessene Kulisse eines alten Horrorfilms aus, und Vernon stellte sich vor, daß Zelluloid-Monster in den Ruinen lauerten und durch den Nebel schlichen.
    Nach dem Brand hatte man das Gelände mit einem gemieteten Maschendrahtzaun abgesperrt — und jetzt entdeckte Vernon, daß das Tor einen Spalt weit offen stand. Eine Brise pfiff leise durch den Maschendraht, das Tor knarrte, dann herrschte wieder Stille an diesem unheimlichen Ort.
    Vernon glaubte, im Inneren des Gebäudes eine Bewegung zu hören, rutschenden Schutt, das Poltern von Stein und Holz. Er stieß das Tor weit auf und betrat das Gelände, verharrte einen Moment und lauschte konzentriert, dann ging er vorsichtig weiter, wie es das Lehrbuch empfahl. In der linken Hand hielt er die Taschenlampe, während seine rechte dicht über dem schweren Polizeirevolver an seinem Hüftholster hing.
    In einer kleinen Tasche an seinem Ledergürtel befanden sich Handschellen, und er glaubte, mit ihnen umgehen zu können, aber bis jetzt hatte er noch nie jemanden gefangengenommen. Das Dasein als Nachtwächter bestand hauptsächlich aus viel Lesen und ein paar falschen Alarmen (vor allem, wenn man eine lebhafte Phantasie hatte) - mehr nicht.
    Vernons Freundin war eine Nachteule, eine angehende Dichterin, die ihre Nächte damit verbrachte, darauf zu warten, daß sie von der Muse geküßt wurde, wenn sie nicht gerade ein paar Stunden in dem rund um die Uhr geöffneten Coffee Shop arbeitete, wo sie angestellt war. Vernon hatte sich ihrem Lebensrhythmus angepaßt, und dieser Nachtwächterjob war wie gerufen gekommen. In der ersten Woche war er ständig müde und benommen gewesen.
    Jetzt, als Vernon das ausgebrannte Labyrinth betrat, war er hellwach.
Da war tatsächlich jemand.
    Unter seinen Füßen knirschten Glassplitter, alte Asche und geborstener Beton. Vernon erinnerte sich noch gut daran, wie diese Forschungseinrichtung einst ausgesehen hatte, ein High-Tech-Zentrum in ungewöhnlich modernem Nordwest-Baustil - eine Mischung aus glitzernd-futuristischem Glas und Stahl und edlem goldfarbenen Holz aus den dichten Küstenwäldern Oregons.
    Das Labor hatte nach den gewalttätigen Protesten, dem Brandanschlag und der Explosion wie Zunder gebrannt.
    Es würde ihn nicht überraschen, wenn sich herausstellte, daß dieser nächtliche Eindringling keiner von den Teenagern war, sondern ein Mitglied der Tierschützergruppen, die sich zu dem Brandanschlag bekannt hatten. Vielleicht ein Aktivist, der Souvenirs sammeln wollte, Kriegstrophäen eines blutigen Sieges.
Vernon wußte es nicht. Er fühlte nur, daß er vorsichtig sein mußte.
    Er ging weiter und zog den Kopf ein, um nicht gegen einen heruntergesackten Holzbalken zu stoßen, schwarz und von grauweißer Asche gefleckt, in der sengenden Hitze gesplittert. Der Fußboden des Hauptgebäudes schien brüchig zu sein und drohte jeden Moment in das Kellergeschoß abzusacken. Einige Wände waren eingestürzt, Trennwände geschwärzt, Fensterglas geplatzt.
    Er hörte, wie sich jemand leise bewegte. Vernon schwenkte seine Taschenlampe, und weißes Licht stach in die Schatten, so daß sie tanzten, schwarze Formen, die ihn ansprangen und über die Wände huschten. Er hatte noch nie an Klaustrophobie gelitten, aber jetzt hatte er den Eindruck, daß das ganze Gemäuer im nächsten Moment einstürzen und ihn unter sich begraben würde.
    Vernon verharrte und ließ seine Lampe kreisen. Er hörte wieder das Geräusch, leises Scharren, das Scharren einer Person, die etwas in den Trümmern suchte. Es kam von der gegenüberliegenden Seite, einem abgetrennten Bürobereich mit teilweise eingestürzter Decke, wo die verstärkten Wände der Zerstörung widerstanden hatten.
    Er sah, wie sich dort ein Schatten bewegte, Schutt wegräumte, wühlte. Vernon schluckte hart und trat vor. »Sie da! Das ist Privatbesitz. Betreten verboten.« Er legte seine Hand an den Knauf seines Revolvers. Gab sich furchtlos. Er würde diesen Eindringling nicht entkommen lassen.
    Vernon richtete seine Taschenlampe auf die Gestalt. Ein
    großer, breitschultriger Mann richtete sich auf und drehte sich langsam zu ihm um. Der Eindringling floh nicht, geriet nicht in Panik
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