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Agent 6

Titel: Agent 6
Autoren: Tom Rob Smith
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antwortete:
    – Sie sind Leo Demidow.
    Leo hatte beim KGB viele brillante, skrupellose Agenten kennengelernt, die in einem einzigen Augenblick die Schwächen eines Menschen erkennen und im nächsten berechnen konnten, wie man sie am besten ausnutzte, unbeschwert von moralischen Bedenken oder ethischen Grenzen. Ihre absolute Sicherheit machte sie so wertvoll für die Geheimpolizei, die Zweifel noch nie als einen Vorteil betrachtet hatte. Yates war so ein Mann. Elena hatte zu Recht Angst vor ihm gehabt.
    Leo wandte sich an Nara.
    – Woher wusste er, dass wir in Amerika sind?
    Yates kam gelassen die Treppe herunter, öffnete den Kühlschrank, um ein Bier herauszunehmen, und fragte mit dem Rücken zu ihnen:
    – Was ist das für eine Sprache?
    Als Nara antwortete, verriet Leo das Zittern ihrer Stimme, dass sie genau wie Elena Angst hatte.
    – Das ist Dari.
    – Spricht man das in Afghanistan?
    – Als eine von mehreren Sprachen.
    – Vielleicht ist Ihr Land deshalb in diesem Zustand. Ein Land sollte nur eine Sprache haben. Das gleiche Problem haben wir hier: Zu viele Sprachen machen sich breit und bringen die Leute durcheinander. Ein Land, eine Sprache – Sie würden staunen, wie wütend die Leute werden, wenn man so etwas vorschlägt. Ich finde das ganz logisch.
    Yates öffnete die Bierflasche und ließ den Verschluss zu Boden fallen. Er landete lautlos auf dem dicken Teppichflickwerk. Yates trank einen Schluck und leckte sich über die vom Bier feuchten Lippen, während er sich die Frage anhörte, die Nara nach einem Moment übersetzte: Wie hatte er sie erkannt, und woher wusste er, dass sie in Amerika waren? Er machte den Eindruck, als würde es ihm gefallen, im Mittelpunkt zu stehen und so wichtig zu sein wie seit vielen Jahren nicht mehr.
    – Woher ich wusste, dass Sie hier auftauchen? Das FBI hat mir gesagt, dass man dem Ehemann von Raisa Demidowa Asyl gewährt hat.
    Leo wurde aufgebracht, als er hörte, wie der Name seiner Frau von diesem Mann verunstaltet wurde. Der plumpe Versuch, ihren Namen auszusprechen, traf so hart wie eine Beleidigung. Yates zeigte sich erstaunlich feinfühlig, er bemerkte die Reaktion und wiederholte den Namen.
    – Raisa Demidowa war doch Ihre Frau, oder?
    Leo antwortete auf Englisch:
    – Raisa Demidowa war meine Frau.
    Leo konnte weder seine Stimme noch seinen Gesichtsausdruck kontrollieren. Er hatte seine Absichten verraten.
    Yates nahm einen langen Zug aus der Flasche, seine dünnen Lippen umschlossen ihren Hals, seine Kehle bewegte sich beim Schlucken – dabei ließ er Leo nicht aus den Augen. Als er die Flasche schließlich absetzte, troff seine Stimme vor Verachtung.
    – Das FBI hielt es für unwahrscheinlich, dass Sie versuchen würden, mich zu finden. Das haben sie gesagt. Aber ich wusste, dass Sie kommen. Es war doch kein Zufall, dass Sie in Amerika gelandet sind. Die wollten mir sagen, es hätte sich so ergeben, das wäre nicht geplant, das Schicksal hätte Sie in das Land gebracht, in dem Ihre Frau gestorben ist.
    Yates schüttelte bedächtig den Kopf.
    – Die Agenten heutzutage sind so verdammt dämlich, dass ich schreien könnte. Alles Weichlinge. Sie müssen in die Benimmschule und lernen, wie man mit vier verschiedenen Messern und Gabeln isst. Sie haben erstklassige Uniabschlüsse und können einen Marathon laufen, aber von der echten Welt haben sie keine Ahnung. Collegeblagen mit Waffen. Und mich haben sie gefeuert, wussten Sie das?
    Er wartete auf die Übersetzung, um Leos Reaktion einschätzen zu können. Leo nickte.
    – Sie haben ein paar Monate nach dem Mord an meiner Frau aufgehört zu arbeiten.
    – Ich war einer der besten Agenten, die das FBI je hatte. Zu meiner Zeit gab es da noch Menschen mit eigenem Kopf, die ihre Arbeit erledigt haben, egal mit welchen Mitteln, da wurden keine Fragen gestellt. Wir hatten die Möglichkeit, etwas anzupacken, eigene Entscheidungen zu treffen. Wir wurden nach unseren Resultaten beurteilt, nicht nach unseren Methoden. Bei uns gab es keine Einschränkungen oder Regeln. Wir haben getan, was nötig war. Aber die Zeiten sind vorbei. Das FBI hat sich verändert. Jetzt wollen sie Leute, die tun, was man ihnen sagt, die auf eine bestimmte Art denken, Ja-Sager ohne Eigeninitiative, ohne Mumm, jede Entscheidung muss mit dreifachem Durchschlag unterschrieben werden.
    Wehmütig blickte er ins Leere, seine Gäste hatte er scheinbar vergessen. Dann wandte er sich plötzlich wieder an Leo.
    – Sie gehen ein ganz
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