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Agent 6

Titel: Agent 6
Autoren: Tom Rob Smith
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irgendwelche Morddrohungen. Ohne sie zu zeigen sagte Yates:
    – Die Neger beschweren sich über die Lynchmorde, aber eigentlich gefällt ihnen nur nicht, dass sie keine Weißen lynchen dürfen. Genau das heißt für die meisten Gleichberechtigung: das Recht, uns auch umzubringen. Lynchen für alle, unabhängig von der Hautfarbe.
    Yates lachte, während Nara übersetzte. Er amüsierte sich köstlich über seinen Witz, den er scheinbar für eine große Weisheit hielt. Ohne zu warten, bis sie ausgesprochen hatte, erzählte er seine Geschichte weiter:
    – In Wahrheit ist es mir nie in den Sinn gekommen, Austin zu töten. Das FBI hat das nie vorgeschlagen, das schwöre ich, wir haben nie darüber geredet, nicht einmal, als dieser alte Narr allen erzählt hat, er würde lieber für die Kommunisten als für Amerika kämpfen.
    Leo wollte diese kleine Rede gar nicht hören, und auch nicht die vielen Gründe, weswegen Yates Austin hasste. Er fragte:
    – Wer hat ihn erschossen?
    – Eure Leute. Die Kommunisten haben ihn umgebracht. Jesse Austin wurde von einem sowjetischen Agenten erschossen.
    Leo nickte und sagte mit einem Seufzen:
    – Ich glaube Ihnen.
    Yates setzte sein Bier ab und ließ sich Leos Antwort von Nara übersetzen. Leo hatte den Mord an Jesse Austin immer für eine sowjetische Verschwörung gehalten, nicht für eine amerikanische. Er sagte auf Dari:
    – Meine Tochter Elena war damals auch in New York, sie gehörte ebenfalls zu der Reisegruppe. Sie hat für eine Abteilung der sowjetischen Regierung gearbeitet. Sie hat geglaubt, ihre Mission sollte die Karriere von Jesse Austin neu ankurbeln. Das war natürlich eine Lüge, man hat sie hereingelegt. Aber ich habe nie herausgefunden, warum mein Land Jesse Austin töten wollte. Meine Tochter hatte offensichtlich keine Ahnung davon.
    Als Yates die Übersetzung hörte, nickte er.
    – Elena? Das Mädchen wusste wirklich nichts. Als wir sie verhaftet haben, hat sie nur geweint. Sie hat allen Ernstes gedacht, sie würde Jesses Karriere anstoßen. Unglaublich dumm war das von ihr.
    Bei diesen Worten wurde Leo schrecklich wütend. Man hatte seine Tochter ausgenutzt, weil sie eine Träumerin war, ein junges Mädchen, das sich verliebt hatte. Als Yates sich über sie lustig machte, hätte Leo den Mann am liebsten auf der Stelle umgebracht. Er musste kurz die Augen schließen, um seine Wut unter Kontrolle zu bringen. So konnte Yates ohne Unterbrechung weiterreden.
    – Sie haben jemanden wie Elena gebraucht, um Austin aus seiner Höhle zu locken. Er hat beinahe wie ein Einsiedler gelebt, er ist nie ausgegangen. Dann taucht dieses Mädchen auf und redet davon, die Welt zu verändern, und er kann nicht Nein sagen. Um Jesse Austin zu überreden, brauchte man jemanden, der so war wie er.
    Endlich begriff Leo, dass Elenas Naivität es nicht nur leicht gemacht hatte, sie zu manipulieren; ihre unschuldige Art war auch der Schlüssel, um Austins Skepsis zu überwinden, und der einzige Weg, um ihn zu dem Konzert zu bringen.
    Während Nara übersetzte, spielte Yates mit dem Revolver. Als sie fertig war, fuhr er fort:
    – Es wundert mich nicht, dass Sie nicht verstanden haben, was der Mord sollte. Einen abstruseren Plan kann man sich kaum vorstellen. Der Kreml hatte entschieden, Austin wäre nicht mehr von Nutzen für die Sowjets. Er lief nicht im amerikanischen Radio, niemand kannte ihn, und niemand kaufte seine Platten. Er konnte sich keinen Auftritt in einer Bar verschaffen, ganz zu schweigen von einem Konzertsaal. Ich hatte meine Arbeit gut gemacht. Durch mich war der alte Mann unbedeutend geworden. Die Sowjets haben einen langen, kalten Blick auf ihren größten Befürworter geworfen und beschlossen, dass er tot nützlicher war als lebend. Ihre Regierung hatte die fixe Idee, am ehesten könnte sie über die Neger eine Revolution in Amerika anzetteln. Wahrscheinlich haben sie gedacht, weil die Neger unterdrückt sind, würden sie sich erheben, ihre Ketten abschütteln und den Staat nach sozialistischem Vorbild neu gestalten. Es würde nur noch ein Funken fehlen, dann würde das Pulverfass der Rassenunruhen in Flammen aufgehen, das kapitalistische Regime stürzen und Amerika rot färben. Das war zumindest der Plan.
    Die Vorstellung brachte Yates zum Kichern.
    – Keine Ahnung, ob sie wirklich so verblendet waren zu glauben, der alte Austin wäre dieser Funken, aber auf jeden Fall haben sie geglaubt, sein Tod würde das gespannte Verhältnis zwischen den Rassen
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