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Agent 6

Titel: Agent 6
Autoren: Tom Rob Smith
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Feinstein nicht einem anderen Agenten davon erzählt, wenn Sie nicht reagiert haben?
    Yates erkannte den Einwand mit einem Nicken an.
    – Ich habe Feinstein mit Handschellen an ein Rohr gekettet und in seinem Büro eingeschlossen, damit er nicht dazwischenfunken und es jemand anderem erzählen konnte. Ich habe zugelassen, dass Austin bei der Demonstration auftaucht. Mehr hatte ich damit nicht zu tun. Ich habe nichts geplant. Ich habe ihn nicht getötet. Und Ihre Frau auch nicht. Ich habe die Sache laufen lassen, mehr kann man mir nicht vorwerfen.
    Yates lehnte sich gedankenverloren gegen die Wand, er sagte beinahe wie zu sich selbst:
    – Habe ich als FBI -Agent versagt? Meiner Meinung nach nicht. Ich sage Ihnen auch, warum. Ich wusste, dass der Mord an Austin keine Ausschreitungen auslösen würde. Selbst wenn jeder Neger da draußen geglaubt hätte, dass Präsident Lyndon Johnson persönlich das Attentat auf Austin befohlen hätte, wäre es nicht zu Unruhen gekommen.
    Der Gedanke, Austin zu retten, weil er ein amerikanischer Staatsbürger war, ein unschuldiger Mann, spielte bei dieser Gleichung keine Rolle.
    – Die meisten Schwarzen glauben an Gott. Sie gehen in die Kirche, sie beten, sie singen. Die Kommunisten nicht. Kommunisten hassen Gott. Letzten Endes hat es nie genug gottlose Schwarze gegeben – es gab nie genug Jesse Austins, um aus den Unruhen einen Aufstand zu machen.
    Yates hatte beinahe alles gesagt, was er loswerden wollte. Trotzdem hatte Leo noch keine Antwort auf die Frage bekommen, die ihn hierhergebracht hatte.
    – Wer hat meine Frau ermordet?
    Yates riss die Augen auf, als hätte er diesen Teil der Geschichte ganz vergessen.
    – Das wissen Sie doch längst! Nachdem Austin erschossen wurde, haben wir Ihre Frau und Ihre Tochter verhaftet. Das Revier war überlaufen, auf der Straße stand die Presse. Es gab Proteste. Als Anna Austin gekommen ist, hat niemand daran gedacht, die trauernde Witwe zu durchsuchen. Sie hat sich in das Büro gesetzt und gewartet, angeblich hatte sie Beweise. Ich war dabei, Ihre Frau zu verhören. Einige sowjetische Diplomaten wollten mit ihr reden. Wir haben zusammen den Verhörraum verlassen und sind in das Hauptbüro gegangen. Anna Austin hat eine Pistole gezogen. Sie hat mich immer gehasst. Wahrscheinlich hat sie gedacht, ich hätte ihren Mann getötet. Sie hat vier Mal geschossen, bevor ein Polizist sie erschossen hat. Sie hat mich nicht getroffen. Die Schüsse gingen in den Schreibtisch, in die Wände – eine Kugel ist an meinem Ohr vorbeigepfiffen. Es ist ein Wunder, dass ich noch lebe. Eine der Kugeln hat versehentlich Ihre Frau getroffen, mitten in den Bauch. Das ist die ganze Geschichte. Es war ein Unfall, es gibt kein Geheimnis aufzudecken. Sie haben die ganzen Jahre über nach der Antwort gesucht, dabei kannten Sie sie bereits: Die offizielle Version ist wahr. Anna Austin hat Ihre Frau getötet. Es war keine Absicht, aber sie hat es getan.
    Yates kam Leos Antwort zuvor und fügte noch an:
    – Eine ganze Reihe von Leuten kann das bestätigen. Sie haben es gesehen. Sie haben gesehen, wie Anna den Abzug gedrückt hat und wie Ihre Frau zu Boden gegangen ist.
    Leo dachte über die Erklärung nach, dann fragte er:
    Anna Austin wollte meine Frau eigentlich gar nicht erschießen?
    Yates kam näher.
    – Sie wollte mich umbringen. Aber sie hat es nicht geschafft. Sie konnte nicht schießen, wahrscheinlich hatte sie vorher noch nie eine Waffe in der Hand. Danach haben wir über die Motive gelogen, nicht über die Tatsachen. Jesse Austin war tot. Anna Austin war tot, erschossen von einem Polizisten. Das war ein Problem für uns. Zwei tote Neger in einer Nacht, und die Frau mitten in einem Polizeirevier erschossen? Wir mussten lügen, sonst wäre in Harlem die Hölle los gewesen. Wir hatten keine andere Wahl. Wir mussten eine Geschichte erfinden, um die Leute zu verwirren; selbst, wenn sie uns nicht glaubten, durften sie sich nicht darüber einig werden, wie die Wahrheit lautete. Es musste alles stimmig sein. Weit über mir wurde beschlossen, dass die Geschichte über Austin und eine Geliebte funktionieren würde. Wir sollten allen erzählen, dass Ihre Frau eine Affäre mit Austin hatte und sie ihn aus Eifersucht erschossen hat. Anna wäre dann auf das Revier gekommen und hätte aus Rache gehandelt. Das passte zu den Tatsachen. Es gab Fotos von Ihrer Frau am Tatort des Mordes. Ein paar Bilder haben wir so retuschiert, dass es aussah, als hätte Ihre Frau
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