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Aetherhertz

Aetherhertz

Titel: Aetherhertz
Autoren: Anja Bagus
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ganz angetan von der Idee.
     
    Ein neuer Platz für alle die armen missverstandenen Kreaturen. Ein weiteres Getto? Annabelle war sich im Klaren darüber, wie haarscharf sie an einer Unterbringung in einer solchen Einrichtung vorbei geschrammt war. Nur der Einfluss ihres Patenonkels dafür gesorgt, dass sie ausreisen durfte. Was er dafür versprochen hatte, wusste sie nicht.
     
    Ich soll euch übrigens von Friedrich und Johanna grüßen. Ich glaube, die beiden sind ganz verliebt. Friedrich ist allerdings sehr beschäftigt. Sie haben ihn befördert, und ihr wisst ja, wie ehrgeizig er ist. Er arbeitet viel. Sie haben alle Berichtiger gekündigt und die Blitzmänner haben vorerst keine Einsätze, bis geklärt ist, wie viel Schaden ihr Ætherblitz anrichtet.
    Friedrich arbeitet im Adlerhorst. Er koordiniert den Umgang mit den veränderten Soldaten. Schließlich kann man ja deren Zukunft noch nicht absehen, vielleicht können sie doch noch nützlich werden.
    Johanna hat sich als Pflegerin freiwillig gemeldet und arbeitet auch im Adlerhorst. Sie ist überraschend nützlich, hat man mir gesagt.
     
    Annabelle hoffte sehr, Johanna bald zu sehen. Sie sehnte sich nach einer weiblichen Person, mit der sie einmal über all die verwirrenden Dinge sprechen konnte, die eben nur Frauen durch den Kopf gehen konnten.
    Sie sah zu Paul hinüber, der beim Lesen eingeschlafen war. Es war sicher nicht leicht für ihn. Sie war so verunsichert. Sie kuschelte sich gerne an ihn, auch das Küssen genoss sie sehr, aber zu mehr war sie bis jetzt nicht bereit gewesen. Es schien ihr nicht richtig, vielleicht sogar gefährlich, solange sie nicht wusste, wie sie ihre Hand und ihre Emotionen kontrollieren konnte. Wenn sie nun die Beherrschung verlor? Sie wollte Paul nichts antun, das könnte sie sich nie verzeihen.
    Aber was, wenn sie es nie lernte? Wenn sie sich ihm nie wieder hingeben könnte? Würde er sie dann noch heiraten wollen? Würde sie so leben wollen?
    All diese Fragen und keine Antworten. Sie stand auf und ging in das Zimmer ihres Vaters. In seinem Schrank fand sie eine Strickjacke, die er oft getragen hatte, zog sie über und verließ das Haus.
     
    Die Sonne ging unter und beleuchtete die Dünen mit ihren letzten Strahlen. Sie wickelte sich eng in die Jacke und ging zum Meer. Dort zog sie ihre Schuhe aus, sie wollte das Wasser an ihren Füssen spüren. Und dann ging sie los, wie man nur am Meer laufen kann: die Augen auf dem Sand, suchend nach allem, was die Wellen so anschwemmten. Muscheln, Seetang, Holz, geschliffene Glasstücke und die ein oder andere Krabbe, die seitwärts drohend vor ihr davon krabbelte.
    Sie blieb irgendwann stehen und spürte, wie die Wellen den Sand unter ihren Füßen stahlen, bis sie tief vergraben waren. Die Sonne war verschwunden und der Himmel voller kleiner aufgehäufelter Wolken. Einem Impuls nachgebend bückte sie sich und tauchte ihre linke Hand ins Wasser.
    Sofort war sie gefangen in einer Ewigkeit, der es völlig egal war, ob sie Verändert oder Verdorben war. Die keinen Sinn forderte, sondern nur Sein. Sie strudelte im ewigen Kreislauf von Gezeiten und Strömungen, von Tod und Geburt, der sich milliardenfach in den Tiefen abspielte, egal, was auf dem festen Land geschah. Sie verlor sich fast in dieser Ewigkeit – man wurde so klein und unwichtig. Und mit jedem Schwappen einer Welle über ihre Finger wurde ein Stück Sorge weg gewaschen, das Meer nahm ihre Probleme einfach mit und ließ nur ein wenig Schaum übrig. Sie hob die Hand und legte die Finger an ihre Lippen. Sie schmeckte das Salz und in die Leere hinein, die sich in ihrem Inneren ausgebreitet hatte, sank langsam ein wenig Frieden.
    Es würde weitergehen, sie wusste noch nicht, wie, aber war das wichtig? Sie musste vertrauen. Auf sich selbst, auf ihre Fähigkeit, ihrem Leben einen Sinn zu geben. Wenn sie sich selbst nicht vertraute, wie sollte es dann jemand anders tun? Da stand an erster Stelle Paul, aber auch Frau Barbara, Onkel Karl, ihr Vater und die anderen – zuletzt die anonyme Gesellschaft, in deren Mitte sie ja weiterhin leben wollte. Nein, sie wollte nicht ausgestoßen sein, und sich auch nicht so fühlen. Sie wollte sich als Bindeglied fühlen, als Sprecherin für die, die nicht mehr sprechen konnten, oder die, die noch nicht sprechen konnten.
    Sie dachte an das Baby der Russin, mit dem alles begonnen hatte: Onkel Karl hatte ihr berichtet, dass man es dem Vater und der Großmutter übergeben hatte. Annabelle hoffte, dass es
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