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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman
Autoren: Heyne
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uns geschickt hat«, sagte er, und die Menge intonierte: » Grazie Signore per la grazia ricevuta!«
    Sebastian blieb skeptisch. Von wegen Wunder. Es war einfach, jemanden in einen Rollstuhl zu setzen, ihn dann aufstehen zu lassen und von einem Wunder zu sprechen. Die Reaktion der Leute deutete darauf hin, dass Elisa tatsächlich gelähmt gewesen war, aber vielleicht steckten gute Vorbereitungen dahinter.
    Doch während der nächsten Stunde verwandelte sich Sebastians Skepsis immer mehr in Staunen. Raffaele ließ nicht nur wie einst Jesus die Lahmen gehen, sondern heilte auch
Schwerkranke, die auf Bahren hereingetragen wurden, ließ hässliche Gesichtsgeschwüre verschwinden und gab zwei Blinden das Augenlicht zurück. Es hätte sich in jedem einzelnen Fall um einen Trick handeln können, aber für die Vorbereitungen wäre ein erheblicher Aufwand an Logistik und Organisation erforderlich gewesen, zumal nicht alle Personen, die Raffaeles Hilfe in Anspruch nahmen, aus Italien kamen. Sebastian nahm sich vor, draußen mit den Pilgern und vielleicht auch mit einigen Geheilten zu sprechen, wenn er Gelegenheit dazu bekam. Er brauchte Informationen und vor allem Namen und Adressen, um Nachforschungen über die Hintergründe anzustellen. Mithilfe des Internets ließ sich viel herausfinden …
    Kurz nach halb eins beendete der Priester die Messe, die viel mehr gewesen war als ein normaler Gottesdienst. Als die Leute aufstanden und nach draußen gingen, bewegte sich Sebastian gegen den Strom und versuchte, so schnell wie möglich nach vorn zu gelangen, bevor Priester und Junge durch die Tür hinter dem Altar verschwanden.
    »Bitte entschuldigen Sie!«, rief er auf Italienisch und bahnte sich mit vorsichtigem Nachdruck einen Weg durch die Menge.
    Der Geistliche zögerte kurz, und Raffaele verharrte an seiner Seite. Sebastian winkte und eilte auf sie zu, bemühte sich, freundlich zu lächeln.
    »Ich würde gern …«, begann er, aber der Priester hob die Hand.
    »Wenn Sie Journalist sind … Heute Nachmittag um vier findet die übliche Pressekonferenz statt. Wenn es Ihnen um Raffaeles Dienste geht - im Gemeindehaus liegen Listen aus, in die Sie sich eintragen können.«
    Der Priester wandte sich ab.

    »Wir kennen uns«, sagte Sebastian, der sich jetzt wieder an den Geistlichen erinnerte. »Don Vincenzo, nicht wahr?«
    »Ja …«
    »Ich bin vor zwei Jahren hier gewesen, zusammen mit Anna Maria Ranzani.«
    »Oh, Dottoressa Ranzani. Wie geht es ihr? Ich habe sie lange nicht gesehen.«
    Sebastian zögerte. Dies war sicher nicht der geeignete Zeitpunkt, von seiner Trennung zu erzählen. »Ich, äh … ich würde gern mit Ihnen reden, wenn Sie etwas Zeit erübrigen können.«
    »Signor Vogler, nicht wahr? Sebastian Vogler.«
    »Ja.«
    »Und Sie sind Journalist.«
    Sebastian sah keinen Sinn darin, es abzustreiten. »Das stimmt, Don Vincenzo. Wenn Sie fünf oder zehn Minuten Zeit für mich hätten …« Etwas veranlasste ihn, auf Raffaele hinabzusehen. Der Junge blickte zu ihm auf, stumm und ernst, und für den Bruchteil einer Sekunde hatte Sebastian das Gefühl, von seinen dunklen Augen aufgesaugt zu werden. Ihm wurde schwindlig, und der Priester hielt ihn am Arm fest, als er taumelte.
    »Geht es Ihnen nicht gut, Signor Vogler?«
    »Es ist … alles in Ordnung«, sagte Sebastian und fand das Gleichgewicht wieder. Er hob die Hand zur rechten Schläfe. »Ich habe nur ein wenig Kopfschmerzen, das ist alles.«
    »Einige Minuten, Signor Vogler. Mehr nicht. Leider ist meine Zeit fast ebenso begrenzt wie die von Raffaele.«
    Sie verließen die Kirche durch die hintere Tür und gingen zum Gemeindehaus des kleinen Ortes. Sebastian sah mehrmals auf den stillen Jungen hinab, doch es kam zu keinem weiteren
Blickkontakt. Im Gemeindehaus wurde der Junge von einem dezent gekleideten Mann und einer eleganten Frau in Empfang genommen.
    »Seine privaten Lehrer«, sagte der Priester und führte Sebastian in einen Raum, der ihm als Arbeitszimmer diente. Das Fenster gewährte Ausblick auf die östlichen Hänge des Aspromonte. »Er geht nicht mehr in Calanna zur Schule.«
    An den Wänden hingen mehrere Bilder des Jungen, direkt unter einem großen Porträt des Papstes, und ein gerahmtes Foto auf dem Schreibtisch zeigte den Priester mit Raffaele vor der Kirche: Don Vincenzo hatte dem Jungen den Arm um die Schultern gelegt und lächelte stolz.
    Sebastian glaubte zu verstehen. »Sie mögen den Jungen, nicht wahr?«
    »O ja.« Der Priester nahm hinter dem
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