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Aelita

Aelita

Titel: Aelita
Autoren: Alexej Tolstoi
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an, nimm Abschied von mir.‹ Sie sagt mit einer kläglichen, kaum hörbaren Stimme: ›M-m Fenst auf.‹ Mit dieser kläglichen, kaum hörbaren Stimme will sie sagen: ›Mach das Fenster auf.‹ Schrecklicher als die Angst ist das Mitleid mit ihr, mit dieser Stimme.
    ›Katja, Katja, schau mich an!‹ Er küßt sie auf die Wangen, die Stirn, die geschlossenen Lider. Ihre Kehle zittert, die Brust hebt sich in Stößen, die Finger krampfen sich um den Rand der Bettdecke. ›Katja, Katja, was ist mit dir?‹ Sie antwortet nicht, sie verläßt ihn… Jetzt erhebt sie sich auf die Ellbogen, als würde von unten her nach ihr gestoßen, als quälte man sie. Das liebe Köpfchen fällt hintenüber… Sie sinkt aufs Bett, tief hinein in die Kissen. Das Kinn ist auf die Brust gesunken…. Losj umfaßt sie; bebend vor Verzweiflung schmiegt er sich an die Tote…. Nein, nein, nein – mit dem Tod kann man sich nicht abfinden….
    Losj erhob sich vom Bett, nahm eine Zigarettenschachtel vom Tisch, begann zu rauchen und ging eine Weile in dem dunklen Schuppen umher. Dann stieg er die kleine Treppe zu dem Teleskop hinauf, fand mit dem Sucher den Mars, der schon über Petrograd stand, und schaute lange auf die kleine, deutlich erkennbare warme Kugel. Sie zitterte ein wenig in den Kreuzfaden des Okulars.
    Er legte sich wieder hin…. In seinem Gedächtnis erstand eine Vision. Katjuscha sitzt im Gras auf einer Anhöhe. In der Ferne, hinter den wogenden Feldern – goldene Punkte: die Kuppeln von Swenigorod, Falken schweben über dem sommerlichen Korn, über dem Buchweizen. Katjuscha ist träge, ihr ist heiß. Losj kaut, neben ihr sitzend, an einem Grashalm; hin und wieder blickt er auf Katjuschas blonden Kopf, ihre gebräunte Schulter mit dem hellen Streifen Haut zwischen dem Sonnenbrand und dem Kleid. Katjuschas graue Augen sind kühl und wunderschön – in ihnen schweben auch Falken. Katja ist achtzehn Jahre alt. Sie sitzt da und schweigt. Losj denkt bei sich: ›Nein, meine Liebe, ich habe Wichtigeres zu tun, als mich hier auf diesem Hügel in Sie zu verlieben. In dieses Netz gehe ich nicht hinein, und zu Ihnen ins Sonnenhaus komme ich nicht mehr.‹ Ach, mein Gott! Wie unvernünftig sind diese heißen Sommertage verpaßt worden. Hätte man doch die Zeit anhalten können, damals! Sie kommt nie wieder! Nie wieder!….
    Losj stand von neuem auf, entzündete sich ein Streichholz, rauchte, ging in der Werkstatt umher. Aber auch das Gehen an der Bretterwand entlang war eine Last: er fühlte sich wie ein wildes Tier in der Grube.
    Losj öffnete das Tor und blickte auf den bereits ganz hoch stehenden Mars.
›Auch dort kann ich mir selber nicht entgehen: jenseits der Erde, jenseits des Todes. Warum mußte ich von diesem Gift kosten und lieben? Wäre es nicht besser, unaufgeweckt zu leben? Es fliegen doch durch den Äther erstarrte Sporen des Lebens, Eiskristalle, sie fliegen im Schlafe. Nein, man muß niederfallen und erblühen, erwachen und dürsten – lieben, verschmelzen, sich selbst vergessen, aufhören ein einsames Samenkorn zu sein. Und dieser ganze kurze Traum nur, damit sich alles wiederholt: Tod, Trennung, und wieder das Schweben der Eiskristalle.‹
Losj blieb lange Zeit am Tor stehen. Wie ein Diamant – in bald blutrotem, bald blauem Licht – schillerte der Mars hoch über dem schlafenden Petrograd. ›Eine neue, wundersame Welt‹, dachte Losj, ›vielleicht schon längst erloschen oder – phantastisch, blühend und vollkommen…. So werde ich einmal von dort, in der Nacht, auf meinen Heimatstern zwischen anderen Sternen schauen. Dann werde ich an den Hügel denken und die Falken, an das Grab, in dem Katja liegt…. Und mein Kummer wird leicht sein…‹
Gegen Morgen legte Losj den Kopf aufs Kissen und schlummerte ein. Ihn weckte das Dröhnen der Lastfuhrwerke, die über den Kai rollten. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Seine von den nächtlichen Visionen noch verständnislosen Augen betrachteten die Karten an den Wänden, die Umrisse des Luftschiffes. Losj holte tief Atem, erwachte vollends und ging zur Wasserleitung, wo er sich kaltes Wasser über den Kopf laufen ließ. Er warf sich den Mantel um und schritt über den öden Platz seiner Wohnung zu, in der vor einem halben Jahr Katja gestorben war.
Dort wusch und rasierte er sich, zog saubere Wäsche und Kleider an und sah nach, ob alle Fenster geschlossen waren. Die Räume sahen unbewohnt aus, überall lag Staub. Er öffnete die Tür zum Schlafzimmer; seit
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