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Aelita

Aelita

Titel: Aelita
Autoren: Alexej Tolstoi
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unfrohes Leben gehabt.
    Vor einem Jahr, an einem Festtag, hatte sie Gussew auf einer Bank im Park kennengelernt. Er hatte gefragt: »Ich sehe, daß Sie hier ganz einsam sitzen, erlauben Sie, die Zeit mit Ihnen zu verbringen – allein ist es langweilig.« Sie blickte ihn an: ein nettes Gesicht, fröhliche, gute Augen und – er war nüchtern. »Ich habe nichts dagegen«, erwiderte sie kurz. So gingen sie denn bis zum Abend im Park spazieren, Gussew erzählte von Kriegen, Streifzügen, Umstürzen – von Dingen, die man in keinem Buch zu lesen bekam. Er begleitete Mascha zu ihrer Wohnung, und von dem Tage an begann er sie zu besuchen. Ruhig und einfach gab Mascha sich ihm hin. Und dann gewann sie ihn lieb; plötzlich, mit ihrem ganzen Sein, fühlte sie, daß er zu ihr gehörte. Und damit begann ihre Qual….
    Der Teekessel kochte. Mascha nahm ihn herunter und saß wieder still da. Schon längst glaubte sie hinter der Tür, in dem leeren Saal, ein Rascheln zu hören. Versunken in ihre traurigen Gedanken, hatte sie nicht hingehorcht. Doch jetzt waren deutlich schlürfende Schritte zu vernehmen.
    Mascha öffnete rasch die Tür und steckte den Kopf durch den Spalt. Durch eines der Fenster drang von der Straßenlaterne Licht in den Saal und beleuchtete in schwachen, blasigen Lichtflecken einige niedrige Säulen. Zwischen ihnen erblickte Mascha einen gebeugten, grauhaarigen alten Mann, ohne Mütze, in einem langen Mantel; er stand mit vorgestrecktem Hals da und schaute Mascha an. Ihr wurde schwach in den Knien.
    »Was wollen Sie hier?« fragte sie flüsternd.
    Der Alte streckte den Hals vor und fuhr fort, sie anzuschauen. Drohend erhob er den Zeigefinger. Mascha schlug mit aller Kraft die Tür zu, ihr Herz klopfte wild. Sie horchte, jetzt entfernten sich die Schritte: der Alte stieg offenbar die Treppe zum vorderen Eingang hinunter.
    Bald erschollen von der anderen Seite des Saales die schnellen, kraftvollen Schritte ihres Mannes. Gussew trat fröhlich ein, er war ganz mit Ruß beschmiert.
    »Gieß mir mal Wasser ein, damit ich mich waschen kann«, sagte er und knöpfte den Hemdkragen auf, »morgen fahren wir, leb wohl. Hast du heißes Wasser im Kessel? Großartig!« Er wusch sich das Gesicht, den kräftigen Hals, die Hände und Arme bis zu den Ellbogen, beim Abtrocknen warf er von der Seite einen Blick auf seine Frau. »Hör auf, ich komm nicht um, ich komm wieder. In sieben Jahren haben mich weder Kugel noch Bajonette umbringen können. Meine Stunde hat noch lange nicht geschlagen, die ist noch unbestimmt. Und dem Tod entrinnt ohnehin niemand: eine Mücke kann dich im Vorbeifliegen mit dem Beinchen berühren – und batz! schon bist du tot.«
    Er setzte sich an den Tisch und fing an, eine gekochte Kartoffel abzupellen, brach sie entzwei und tunkte sie in das Salz.
    »Mach mir zu morgen frische Wäsche fertig, auch zum Wechseln: Hemden, Unterhosen, Fußlappen. Vergiß auch nicht die Seife und Nähzeug. Du hast wohl schon wieder geweint?«
    »Ich bin erschrocken«, erwiderte Mascha und wandte sich ab, »da geht immer so ein alter Mann herum, er hat mir mit dem Finger gedroht. Aljoscha, fahr nicht weg!«
    »Weil ein alter Mann dir mit dem Finger gedroht hat, soll ich nicht wegfahren?«
    »Das bedeutet Unglück, daß er mir gedroht hat. « »Schade, daß ich wegfahre, ich hätte sonst mit diesem alten Trottel ein ernstes Wort geredet. Das ist ganz bestimmt einer von denen, die hier früher gewohnt haben, der nachts herumschleicht, alles mögliche flüstert und die
    Leute zum Haus hinausekelt.«
»Aljoscha, kehrst du zu mir zurück?«
    »Ich habe doch gesagt, daß ich wiederkomme, also kehre ich zurück. Ach, bist du ein unruhiges Geschöpf!«
»Fährst du weit fort?«
Gussew begann zu pfeifen und nickte, der Decke zugewandt. Seine Augen lachten; er goß von dem heißen Tee in die Untertasse.
»Ich fliege über die Wolken hinaus, so etwa wie dieses Weib da oben.«
Mascha ließ nur den Kopf sinken. Gussew gähnte und begann sich auszuziehen. Mascha räumte geräuschlos das Geschirr weg, setzte sich, um die Socken zu stopfen; sie hob kein einziges Mal die Augen. Aber als sie sich dann auszog und zum Bett ging, da schlief Gussew bereits: die Hände auf der Brust gekreuzt, mit ruhig geschlossenen Lidern. Mascha legte sich neben ihrem Mann nieder und schaute ihn an. Über ihre Wangen rannen Tränen, sie liebte ihn so sehr und sie sehnte sich so nach seinem unruhigen Herzen: ›Wo fliegt er hin, was sucht er?‹
Beim Morgengrauen
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