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Adressat unbekannt

Adressat unbekannt

Titel: Adressat unbekannt
Autoren: Dorothee Böhm
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sich in der Literatur vorstellen kann.«
    Die gebündelte Aufmerksamkeit der Journalisten und Leser galt einer unbekannten Autorin – Kressmann Taylor, die von 1926 bis 1928 als Werbetexterin in einer Agentur gearbeitet und ihre Anstellung dann aufgegeben hatte, um gemeinsam mit ihrem Mann Elliott Taylor für ihre drei kleinen Kinder zu sorgen. Die Autorin erläuterte damals die Entstehung von ›Adressat unbekannt‹: Der Text basiere auf einigen tatsächlich geschriebenen Briefen, auf die sie gestoßen sei, aber erst im Gespräch mit ihrem Mann habe die Geschichte ihre endgültige Form gefunden.
    In der Sommerausgabe des Jahres 1992 druckte Story ›Adressat unbekannt‹ noch einmal ab. Angesichts der grassierenden Fremdenfeindlichkeit in vielen Ländern der Welt war die soziale Bedeutung des Buches von neuem augenfällig. Die neonazistischen Strömungen im wiedervereinten Deutschland, das erneute Aufkeimen von antisemitischen Haltungen in Osteuropa und die zunehmende Popularität der weißen Suprematisten in den Vereinigten Staaten klangen wie ein unheimliches Echo der Vergangenheit.
    Wieder erregte die Geschichte außergewöhnlich lebhaftes Interesse. In den Zuschriften kam zum Ausdruck, daß eine neue Generation von Lesern von der Kraft dieses Buches eingenommen war. Andere, die die Geschichte bereits 1938 gelesen hatten, begrüßten freudig ihren Wiederabdruck.
    Die zeitlose Botschaft von ›Adressat unbekannt‹ wendet sich an unser moralisches Empfinden, und nicht zuletzt deshalb hat dieser Band einen Platz in jedem Bücherregal verdient.

NACHWORT
    von Elke Heidenreich
    Immer, wenn ich vom millionenfachen Tod der Juden im Dritten Reich lese, immer, wenn ich die Bilder von ausgemergelten Menschen sehe, die stumm hinter einander her ins Verderben gehen, kommt mir eine Zeile aus einem Gedicht von Dylan Thomas in den Sinn. Es ist ein Gedicht über das Altwerden und das Sterben, gegen das Thomas sich auflehnt, und die Zeile lautet:
    »Geh nicht so fügsam in die dunkle Nacht …«
    Geht nicht so fügsam, hätte ich verzweifelt den verzweifelten Menschen zurufen wollen, aber ich schäme mich immer sofort für diesen Gedanken – denn auf den Bildern sehe ich auch die Nazis in Uniformen und mit Waffen, und in den Büchern lese ich, wie man die Juden erniedrigt, gequält, mißhandelt, vertrieben, eingepfercht, aller Rechte beraubt und schließlich kaserniert und gemordet hat. Wer hätte sich da schon auflehnen können, was blieb denn noch anderes übrig, als fügsam in die dunkle Nacht zu gehen bei diesem akribisch geplanten Massenmord! Es käme einer Schuldzuweisung an die Opfer gleich, würde man Widerstand von ihnen erwarten wollen. Wir, die Täter, haben fügsam die dunkle Nacht mit allem Grauen erdacht, mitgetragen, gewollt, geduldet, möglich gemacht – so herum ist es richtig. Und doch bleibt der bohrende Gedanke: war denn kein Aufmucken denkbar, keine Gegenwehr möglich, waren nicht wenigstens hinterher brennender Haß und gnadenlose Rache an der Tagesordnung?
    Und dann plötzlich dieses kleine Buch. Von 1938 ist die Geschichte. Ich habe sie im Jahr 2000 gelesen und bin hier einem Juden begegnet, der sich gerächt hat, der zurückgeschlagen und einen der Mörder vernichtet hat. Und er tut das aus dem freien Land Amerika heraus, in dem er ungefährdet lebt, und nur, indem er Briefe an seinen Feind schickt. Briefe, die es in sich haben wie eine Tretmine – einmal geöffnet, gibt es kein Zurück mehr. Die Mine explodiert, der letzte Brief kommt nach vierzehn Tagen an den Absender zurück: »Adressat unbekannt«. Treffer.
    Vielleicht ist es unter anderem auch das, was den ungeheuren Erfolg dieses kleinen Buches ausmacht: daß wir beim Lesen eine heimliche Erleichterung verspüren darüber, daß einer zurückgeschlagen und gewonnen hat, wie traurig, enttäuscht, verzweifelt und unter welchen Opfern auch immer. Er hat es ihm gezeigt, diesem Nazi Martin Schulse, der sein Feind ist, der das Leben seiner Schwester auf dem Gewissen hat. Und er hat es ihm so subtil und perfide gezeigt, daß nicht einmal Gewalt im Spiel sein mußte – Worte genügten. So stark sind Worte? Ja, so stark.
    Aber wir müssen früher beginnen.
    Denn Martin Schulse war nicht immer der Feind von Max Eisenstein. Im Gegenteil: Er war sein Geschäftspartner, sein bester Freund, der Geliebte seiner Schwester. Innigere Freundschaftsbriefe als die, die sich Max und Martin bei ihrer Trennung 1932 schreiben, lassen sich kaum denken. Der eine,
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